Ein wilder Hirsch in der Werkstatt

Wer immer schon wissen wollte, wo Helden hingehen, wenn der Vorhang gefallen ist, sollte sich in der Bar "Zum wilden Hirschen" umsehen. Michael Barfuß´ inzeniert das wunderbare Stück "Zum wilden Hirschen" in der Werkstatt.

 Konstantin Linhorst schmettert als Parzival Tom Waits ins Megaphon.

Konstantin Linhorst schmettert als Parzival Tom Waits ins Megaphon.

Foto: Lilian Szokody

Bonn. "Nein, sagt! Ist es ein Traum?" Eben noch hat der Prinz Friedrich von Homburg auf der großen Bühne sein unerwartetes Glück in Zweifel gezogen, jetzt sitzt er an der Bar, hält sich an einem Whisky fest und singt Randy Newmans "It's lonely at the top".

Wie es sich für einen Titelhelden gehört, der so viele Brüche aufweist wie Kleists Homburg. Wer immer schon wissen wollte, wo Helden hingehen, wenn der Vorhang gefallen ist, sollte sich in der Bar "Zum wilden Hirschen" umsehen. Dort treffen sie alle aufeinander: Parzival aus "Merlin oder Das wüste Land" von Dorst, Tante Jule aus Ibsens "Hedda Gabler", das Fräulein Andacht aus Kästners "Pünktchen und Anton" und der Prinz.

Tickets Karten unter anderem in den GA-Zweigstellen, bei bonnticket.de und unter der Telefonnummer (02 28) 50 20 10Nicht zu vergessen der schneidige Erich, der mit Springerstiefeln und Schäferhund aus Horváths Wiener Wald in die Werkstatt gekommen ist, um im "Hirschen" den Barmann zu geben. Es ist ein Traum. Denn diese Figuren aus fiktiven Welten haben sich eine Menge zu sagen. Hier spielen und singen sie - und wie!

Michael Barfuß hat sich diese wundervolle Kneipe am Ende des Universums ausgedacht. Annika Ley hat sie mit witzigen Details ausgestattet. Zwischen Musicbox und Hirschkopf haben fünf Schauspieler eine Menge Spaß daran, einen Abend lang sprachlos zu sein. Aus der Rolle fallen sie deshalb noch lange nicht. Wagner-Klänge begleiten den Auftritt von Konstantin Lindhorst, der als Parzival mit zerrissener Rüstung, himmelblauer Häkelhose und geköpftem Kameraden hereinschwankt und kurz darauf Tom Waits' "Innocent when you dream" ins Megaphon schmettert. Das passt zu ihm.

Und wenn Susanne Bredehöft als Tante Julchen im braven schwarzen Kostüm höchst verführerisch das Tanzbein schwingt und schmachtet wie die Knef ("Wer will mit mir tanzen?"), tun sich endlich die Abgründe auf, die man bei Ibsens herzensguter Juliane immer schon vermutet hat. Überraschende Offenbarungen und ungewöhnliche Begegnungen - in der magischen Atmosphäre des "Wilden Hirschen" ist alles möglich.

Der Prinz (Arne Lenk) erhofft sich neuen Schwung von "New Shoes". Das betrogene Fräulein Andacht (Simin Soraya) tröstet sich im fabelhaften Duett "American Boy" mit Barkeeper Erich (Birger Frehse als Rapper Kanye West), bevor sie ihn mit "Purple Rain" doch eiskalt wieder abserviert. Was keiner so richtig nachvollziehen kann, der mitgekriegt hat, wie Frehse sich in einem fulminanten Medley Unterstützung von Christina Aguilera, Gloria Gaynor, Jerry Lee Lewis und Simply Red holt.

Der Mann hat das Zeug zum Popstar. Die anderen übrigens auch. Und doch wären sie nichts ohne den Barpianisten Marcus Schinkel, der am Klavier wirklich alles kann. Gäbe es diese Bar nicht, man müsste sie erfinden.

Weitere Vorstellungen am 17. Mai und 28. Juni.

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