Buchtipp: Matthias Brandt „Raumpatrouille“ Eine Kindheit in Bonn

Bonn · Matthias Brandt, Schauspieler und Sohn von Rut und Willy Brandt, hat seine witzigen Erinnerungen der Jahre 1968 bis 1972 im Buch „Raumpatrouille“ herausgebracht.

Im Fernsehen laufen „Rauchende Colts“, „Bezaubernde Jeannie“ und „Percy Stuart“, das Röhrenradio mit den Städten Hilversum und Beromünster auf der Skala zwinkert mit dem magischen Auge, und wenn die Wachmänner gut drauf sind, werfen sie die James-Last-Kassette in den Saba-Spieler und hören „Puppet on a String“ und „Blue Spanish Eyes“.

Das Getränk der Stunde ist der Sirup Tri Top Mandarine, zumindest für den siebenjährigen Matthias, dessen Papa nicht irgendein Papa ist, weswegen auch Personenschützer vor dem Haus Position bezogen haben. Ende der 1960er Jahre auf dem Bonner Venusberg: Matthias Brandt, Sohn von Rut und Willy Brandt, führt dort das Leben eines ganz normalen Kindes, fast ungeachtet der Tatsache, dass Willy Brandt von 1966 bis 1969 Bundesaußenminister und Vizekanzler, dann bis 1974 Bundeskanzler der Bonner Republik ist.

In 14 kleinen, wunderschön beobachteten Geschichten hat Matthias Brandt seine Erinnerungen aufgeschrieben, die von 1968, da war er sieben, bis 1972 reichen. Eine unbeschwerte Kindheit in Bonn mit einem Vater, dessen Aura und Zigarilloqualm zwar oft präsent waren, der aber physisch eher durch Abwesenheit glänzte. Wenn der rastlose Politiker Matthias zum Abschied die Wange tätschelte, war er in Gedanken schon ganz woanders.

Bilder aus den Kindertagen von Matthias Brandt
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Die erste Mondlandung als prägendes Ereignis

Matthias Brandt, einer der ganz großen Schauspieler seiner Generation, der in TV-Filmen wie dem Grimme-prämierten Kundus-Drama „Eine mörderische Entscheidung“ in der Rolle des Oberst Georg Klein ebenso glänzte wie er als Kommissar Hanns von Meuffels im Münchner „Polizeiruf 110“ begeistert, offenbart mit seinem Bucherstling „Raumpatrouille“ ebenfalls großes Talent. Sehr schön fühlt er sich in die Perspektive eines Heranwachsenden hinein, der bei der Fahrt mit dem Oberleitungsbus der Linie 16 um seinen Sitzplatz bangen muss, auf den Soldatenwitwen und Kriegsinvalide scharf sind; der unter Lehrern mit Stalingrad-Prägung leidet und sein Büchergeld im Kaufhof in eine Astro-nautenausrüstung investiert.

Das hat einen Grund: Der 20. Juli 1969 ist der Tag der ersten Mondlandung, die ganze Welt ist auf All gepolt, sogar Ernst Huberty sendet seine Sportschau aus einer Art Apollo-Studio. Matthias spielt noch Wochen danach Mondlandung, „Noch 900 Meter“, „Engineers stop“, „Eagle ist jetzt auf der Mondoberfläche“. Wie alle Bonner Kinder drückte sich auch Matthias die Nase am Schaufenster vom „Puppenkönig“ platt.

Dort stand ein 105 Zentimeter großer Elefant der Firma Steiff auf Rädern. Der Zufall wollte es, dass Bundespräsident Heinrich Lübke und seine Frau Wilhelmine Matthias im Alter von vier Jahren genauso einen Elefanten schenkten. Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft und einer Reihe von Besuchen des Knaben beim 70 Jahre älteren Politiker auf ein Tässchen Kakao. Brandt erzählt diese Episoden ohne Betulichkeit, vielmehr mit der Begeisterung eines wachen, alles genau beobachtenden Kindes.

Das träumt vom großen sportlichen Durchbruch als Torwart im Dress des Mönchengladbacher Keepers Wolfgang Kleff, das bei Sport-Wurm erworben wird. Matthias versagt auf ganzer Linie: „Ich spürte eine so brennende Reue aufsteigen, dass es mir in den Ohren rauschte. Herr Dhünn (der Trainer) rief etwas in den Beschämungstunnel, in dem ich mich befand, hinein, was ich zwar wahrnahm, aber nicht verstand.“

Vater Brandt war auch keine Sportskanone, wie Brandt junior mit herrlicher Tragikomik beschreibt: Die witzigste Geschichte in „Raumpatrouille“ kreist um eine gescheiterte Radtour von Willy Brandt und dem verhassten Herbert Wehner, die damit endet, dass der Kanzler zu Boden geht: „Mein Vater stürzte nicht, er kenterte. Es schien, als sei sein Fahrrad leck geschlagen und als führe die dadurch bedingte Schwerpunktveränderung unausweichlich zu einer Havarie“, beobachtet Matthias von seinem Bonanza-Rad aus.

Brandt wirft auch einige wenige entlarvende Schlaglichter auf das offizielle Leben der Kanzlerfamilie in Bonn. Mit schwarzen Mercedeslimousinen und einem Polizeiporsche als Eskorte geht es zum „großen Rummel auf der anderen Rheinseite“, der immer im September stattfindet. Es kann sich nur um Pützchens Markt handeln. Schon auf der Fahrt durch die Stadt wird Matthias mulmig: „Ich ahne, dass es nicht um mein Vergnügen geht.“ Eine Menschentraube, Mutter Rut lächelt, der Kanzler winkt, man hört auch vereinzelte „Buhs!“ Unter Blitzlichtgewitter geht's zum Autoscooter.

Willy Brandt dirigiert die Kapelle auf Pützchens Markt

„Ich habe keinen Spaß“, sagt der Junge, und rammt den Wagen der Mutter so oft wie möglich. Derweil gibt der Vater Autogramme, muss später die Musikkapelle im Festzelt dirigieren. „Danach Applaus, Buh, wieder raus aus dem Zelt“, wie Matthias Brandt lapidar protokolliert. An der Losbude muss der Knabe so lange Lose aufpulen, bis der Hauptgewinn dabei ist und die Fotografen ihr Motiv haben. „Ein großer rosa Teddybär – für einen zehnjährigen Jungen.“ Er wäre wohl gerne Achterbahn gefahren. „Auf dem Heimweg Schweigen.“

Der familiäre Gegenentwurf: Ein Riesenereignis, als Matthias bei der Familie seines Freundes Holger übernachten darf. Gemeinsames Fernsehen von „Drei mal Neun“ mit Wim Thoelke auf dem Cordsofa, Schnittchen mit Champignonstreichkäse und Salami, Fürst-Pückler-Eis. So wolle er auch sein, so wolle er leben, ist Matthias' Entschluss. Der hält nur kurz, bis zu einem heftigen Heimwehschub mitten in der Nacht.

„Raumpatrouille“ endet mit einer zauberhaften Betrachtung des schlafenden Vaters in dessen rauchgeschwängertem privatem Wohnbereich. „Irgendwo in meinem Bauch vibrierte seine Stimme, die noch besser klang als die von Pa aus Bonanza.“

Matthias Brandt: Raumpatrouille. Geschichten. Kiepenheuer & Witsch, 173 S., 18 Euro. Zum Buch ist eine CD mit Stücken von Jens Thomas erschienen (Roof records).

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