"Sünder/Sinners" in der Werkstatt Eine Liebe in sechzig Minuten

BONN · David Mouchtar-Samorai inszeniert "Sünder/Sinners" von Joshua Sobol in der Werkstatt. Der israelische Dramatiker nimmt gern heiße Eisen in die Hand.

 Kann Liebe Todsünde sein? Birte Schrein und Arne Lenk.

Kann Liebe Todsünde sein? Birte Schrein und Arne Lenk.

Foto: Thilo Beu

In seinem 1984 von Peter Zadek in Berlin inszenierten Stück "Ghetto", mit dem Sobol in der Bundesrepublik bekannt wurde, paktieren Juden im Ghetto von Wilna mit den Deutschen. In "Weiningers Nacht" (1982) werden antisemitische Thesen nicht etwa von einem Nazi vertreten, sondern von jenem Wiener Kulturphilosophen und jüdischen Selbsthasser Otto Weininger verfochten, den Hitler "den einzigen akzeptablen Juden" nannte.

In seinem 1986 in Bonn aufgeführten Stück "Die Palästinenserin" geht es um die Beziehung eines jüdisch-arabischen Paares, das an Israel scheitert: an jüdischer Intoleranz. Freunde hat sich Sobol zu Hause nicht gemacht.

In seinem 2008 entstandenen Drama "Sünder/Sinners (Die Englischlehrerin)", das jetzt in der Regie von Mouchtar-Samorai seine deutschsprachige Erstaufführung in der Werkstatt erlebte, wendet sich der Israeli einem Thema zu, das in Ländern wie Iran, Pakistan und Somalia traurige Wirklichkeit ist: der Steinigung. Mit dieser Strafe müssen Ehebrecher rechnen.

Sobols Geschichte könnte in jedem islamisch geprägten Land spielen, das die Steinigung für Ehebrecher gebietet; Hinweise im Text deuten auf den Iran. Birte Schrein spielt Layla, eine (zwangs)verheiratete, gebildete Frau, die bis zu den Brüsten lebend begraben auf ihre Steinigung wartet.

Sie hatte eine Affäre mit einem ebenfalls (zwangs)verheirateten Studenten (Arne Lenk). David Mouchtar-Samorai hat 1989 Sobols "Adam" in Bonn inszeniert. Er lässt jetzt auf Carla Friedrichs fast leerer, eine Atmosphäre von Verlorenheit, Bedrohung und Überwachung aufbauender Bühne ein bewegendes Liebesdrama entstehen.

Darum geht es in erster Linie, nicht um die theatralische Ächtung der Steinigung und ihrer religiösen Grundlagen. Nach dem 75-minütigen Abend ist man aber dennoch froh über die Fortschritte der Zivilisation und über die Trennung von Kirche und Staat.

Arne Lenk, der in einem begräbnistauglichen Anzug auftritt, schichtet Steine für die Hinrichtung auf. Lenks und Schreins Figuren erleben in einer Stunde, wofür andere Paare ein ganzes Leben brauchen: alle Stadien der Liebe, die Poesie und die Aggressionen, den Zauber der ersten Momente und die zerschmetternde Wucht von Auf- und Abrechnung.

Birte Schrein hat als Layla im Sandhaufen große Augenblicke. Sie stellt eine Frau mit Biss dar, abwechselnd bitter, sarkastisch, sinnlich, obszön und böse. Ihre Suada einer Todgeweihten ist großes Theater. "Unsere gesamte Nation ist ein riesiger Eunuch", sagt sie. "Unsere Männer sind alle elende Kastraten, die sich nur stark fühlen, wenn sie auf ihren Frauen herumtrampeln."

Arne Lenk kann alle widersprüchlichen, ihn förmlich verzehrenden Empfindungen allein mit Blicken ausdrücken. In der Werkstatt, dem intimsten Spielort des Bonner Theaters, erlebt man diese Art von leisem Psycho-Thriller besonders intensiv.

Birte Schrein und Arne Lenk geben dem Stück, das einfach und wirkungsvoll konstruiert ist, Konturen und Dringlichkeit. Besonders optimistisch entlässt der Theaterabend das Publikum nicht, auch wenn die Schauspieler in einer Wunschtraumsequenz ihrer barbarischen Umwelt tänzerisch zu entfliehen scheinen. Es bleibt ein Traum.

Die nächsten Aufführungen: 28. September, 2., 4., 18., 20., 24. und 27. Oktober. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen und bei bonnticket.de

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