Rock am Ring Eine musikalischen Bandbreite von Death Metal bis Retro-Folk

NÜRBURGRING · Keith Flint sieht immer noch dämonisch genug aus, um in einem Batman-Film den Joker geben zu können. Zwei Bürstenstreifen auf dem geschorenen Schädel, die Augen dunkel geschminkt, rast er beim Auftritt von The Prodigy über die Hauptbühne des Festivals Rock am Ring.

The Prodigy um Mastermind Liam Howlett und den immer unter Höchstspannung stehenden Frontmann Flint sind Headliner des zweiten Tages. Die Beats der Briten, die seit den frühen 90er Jahren nichts an Aggressivität verloren haben, werden von Zigtausenden Fans auf dem Gelände des Nürburgrings frenetisch gefeiert. Der Technopunk ist eben auch sehr tanzbar.

Größer lässt sich der Kontrast zum Vorabend kaum denken: 30 Seconds To Mars hatten da ihren Auftritt. Sie waren am Eröffnungstag für die ganz große Mitternachtsshow zuständig. Mit Songs wie "Birth" von ihrem neuen Album "Love Lust Faith + Dreams" oder "This Is War" und "Night of The Hunter" hatte die Band ihr Publikum ziemlich schnell im Griff.

Der attraktive Sänger Jared Leto, der als Schauspieler in Hollywood kaum weniger erfolgreich ist als auf der Rock-Bühne, lässt einen Hang zum Pathos durchblicken: "Germany do you believe in me? Because I believe in you!", ruft er der Menge zu, die diesen seltsamen Satz gern als Kompliment auffasst und ihm begeistert zujubelt. Auch sein Akustik-Set an der Gitarre, für das er die Hauptbühne verlässt, um es mitten im Publikum zu absolvieren, wird dankbar aufgenommen.

The Prodigy und 30 Seconds To Mars stehen für die enorme Bandbreite, die in diesem Jahr bei Rock am Ring am Nürburgring und dem Zwillingsfestival Rock im Park in Nürnberg nicht nur bei den Headlinern zu erleben waren. Hier fand sich für fast jede jede Geschmacksrichtung zwischen dröhnendem Death Metal und feinem Retro-Folk etwas.

Am Samstag verzauberte der 19-jährige Newcomer Jake Bugg aus Nottingham seine Fans mit seinem lupenreinen 60er-Jahre-Stil, der sich an Bob Dylan oder Donovan orientiert und das Ergebnis seinen Fans sehr selbstbewusst und frisch serviert. Songs wie "Two Fingers" und "Lightning Bolt", mit denen der wortkarge Sänger auf der Alternastage begeistert, besitzen echte Qualität. Ein großartiger Auftritt.

Die Alternastage hatte am zweiten Festivaltag überhaupt eine ganze Menge spannender Bands zu bieten. Darunter Phoenix aus Paris, eine Stadt, die nicht unbedingt bekannt ist für Rock 'n' Roll. Leadsänger Thomas Mars, Lebensgefährte von Sofia Coppola und Neffe von Hellmuth Karasek, verzückt die Fans mit dem Hit "Lisztomania" ebenso wie mit den Songs aus dem jüngsten Phoenix-Album "Bankrupt!"

Auf der sonst eher nur relativ bescheidenen Zuspruch findenden dritten Bühne des Festivals, der Clubstage, hatten sich derweil ein paar Tausend Festivalbesucher zusammengerottet. Die Nachricht, dass die Beatsteaks aus Berlin als nicht angekündigte Überraschungsgäste auftreten würden, hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet. Man nahm das Geschenk mit Freuden entgegen.

Nicht wenige werden den Auftritt vielleicht als den Höhepunkt des Festival überhaupt empfinden. Dass die Beatsteaks eine grandiose Liveband sind, hatten sie erst vor zwei Jahren auf der Centerstage unter Beweis gestellt. Auch jetzt hätten sie gern länger als die möglichen 45 Minuten gespielt.

"Wir haben nicht mehr viel Zeit", drängte Leadsänger Arnim Teutoburg-Weiß seine Musiker, bevor sie mit "I Don't Care As Long As You Sing" ihren fulminanten Auftritt beendeten. Ebenfalls aus Berlin kommen The BossHoss, deren Cowboy-Attitüde sogar auf die Anmoderationen abfärbt: Man spricht Amerikanisch. "Ihr könnt Deutsch"-Sprechchöre des Publikums machten die Absurdität allerdings offensichtlich. Da wirkte Stone Sour authentischer. Sie kommen wirklich aus Amerika.

Ihren schönsten Moment hatten sie mit der wundervollen Ballade "Through Glass". Da öffneten sich die Herzen des Publikums. Im Anschluss bereitete Volbeat aus Dänemark mit einer grandiosen Show (inklusive dem Johnny-Cash-Cover "Ring of Fire") den Boden für "The Prodigy".

Gestern ging dann das von 85 000 Ringrockern besuchte Festival mit weiteren tollen Konzerten zu Ende. Bad Religion war darunter, aber auch Kraftklub, die Sportfreunde Stiller und Seeed. Zum Höhepunkt wurde aber der Auftritt von Green Day. Dem Punktrio hatten die Rock-am-Ring-Macher mit zweieinhalb Stunden das längste Zeitfenster geöffnet. Sie wussten, warum. Frontmann Billie Joe Armstrong ist nämlich auch ein begnadeter Entertainer.

Für nächstes Jahr gibt es Überlegungen, einen weiteren Tag ans Festival dranzuhängen, wie Gründer Marek Lieberberg am Samstag sagte. "Dann fällt Rock am Ring auf Pfingsten." Und den freien Montag könne man ja nutzen.

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