Julia von Locadou liest im Schauspielhaus Bonn Eine Prophetin ohne Zöpfe
Bonn · Julia von Lucadou legt mit „Tick Tack“ einen Roman vor, der von der dunklen Macht digitaler Medien und einem sinistren Verschwörungstheoretiker handelt. In deren Sog gerät die 15-jährige Mette. Die Autorin stellte sie dem Bonner Publikum vor.
Einserschnitt auf dem Zeugnis, Ethikpreis und ein NRW-Stipendium: Vor der 15-jährigen Mette liegen alle Möglichkeiten wie auf einem Silbertablett. Stattdessen unternimmt das Mädchen einen Selbstmordversuch. Dann lernt sie den älteren Jo kennen, einen im Leben gescheiterten Verschwörungstheoretiker, der sie für seinen Kampf gegen den Mainstream rekrutiert – den er vorrangig über das Videoportal TikTok steuert. So ließe sich das Szenario in „Tick Tack“ zusammenfassen, dem neuen Roman von Julia von Lucadou. Auf Einladung des Bonner Literaturhauses und der Parkbuchhandlung ist die frühere Bonner Stadtschreiberin ins Schauspielhaus in Bad Godesberg gekommen, um ihr aktuelles Buch vorzustellen.
„Die sozialen Medien formen die Gesellschaft, die Sprache und die Wahrnehmung der Welt“, sagt von Lucadou im Gespräch mit Adriana Drygala. „Das wollte ich besser verstehen, um auch die jüngere Generation besser zu verstehen. Ich halte sie für enorm kreativ und politisch engagiert.“ Interessant ist, wie die Autorin die Männerfiguren skizziert: Mettes Vater wird beschrieben als „Tagträumer“, „ängstlich“, „unsicher“, vor ein paar Jahren zum „Hausmann und feministischen Blogger“ mutiert, ein „pseudofeministischer Waschlappen“. Oder gleich ins andere Extrem: Der Vater von Jo sei ein „Mann der Fäuste“ gewesen, „eine Faustmasse“.
Von Realen und Digitalen
Mette begegnet dem „Muttersöhnchen“ Jo erstmals in dessen zugemüllter Soziopathenbude: „Er materialisierte sich vor mir wie aus einem Horrorfilm.“ Der fiese Einflüsterer Jo trägt einen Donald-Trump-Pullover und sagt zu dem armen Mädel: „Du hast Propheten-Potenzial. Du könntest eine Anti-Greta ohne Zöpfe werden.“ Julia von Lucadous verblüffende Schlussthese im Schauspielhaus Bonn: „Das Digitale und das Reale lassen sich in unserer Gegenwart ja gar nicht mehr trennen.“ Sagt eine Autorin, die sich komplett aus den sogenannten sozialen Medien heraushält und auch keine eigene Homepage hat.
Julia von Lucadou: Tick Tack. Hanser Berlin, 256 Seiten, 23 Euro