Eine Tänzerin fürs Jenseits

Die Bundeskunsthalle spürt mit Schätzen vom Terrakottakrieger bis zur feingliedrigen Bronzeskulptur den Geheimnissen der alten chinesischen Hauptstadt Xi`an nach

Eine Tänzerin fürs Jenseits
Foto: Franz Fischer

Bonn. Wie sehr ihr großer Erster Kaiser Qin Shihuangdi im Bewusstsein der Chinesen nachlebt, hat Mao Tse-tung 1958 in einer Rede bewiesen, als er sich rühmte, ihn in der Zahl seiner Hinrichtungen hundertfach übertroffen zu haben.

Und noch heute ist der Ruhm Qins gegenwärtig - allerdings nicht allein wegen seiner Grausamkeiten, sondern vor allem wegen seiner maßlosen Prunksucht im Diesseits und in der Fürsorge für das Jenseits. Ihr ist eine bisher nie wieder erreichte logistische und künstlerische Leistung zu verdanken.

Denn Qin, der im Jahre 221 v. Chr. die sieben "Streitenden Reiche" Chinas geeint und das erste Kaiserreich errichtet hat, war von Lebensgier und Todesfurcht gleichermaßen erfüllt. 700 000 Sklaven, berichten die Quellen, haben allein seine monumentale unterirdische Grabanlage in der Ebene des Flusses Wei vor einer natürlichen Bergkulisse gebaut.

Berühmtheit erlangte sie weltweit, nachdem 1974 Brunnenbauer nahe der alten Hauptstadt Xi'an auf eine der drei Gruben mit den inzwischen populären lebensgroßen Terrakottasoldaten gestoßen waren. Mittlerweile haben die Archäologen 180 Gruben auf dem Gelände des kaiserlichen Mausoleums Qinling und großräumig zahlreiche Sepulkralanlagen der Qin nachfolgenden Dynastien Han (206 v.Chr.-618 n. Chr.) und Tang (618-907 n. Chr.) nachgewiesen.

Bis heute haben sie keine zentrale kaiserliche Grablege, sondern nur "Nebenschauplätze" ergraben und auch hier spektakuläre Funde geborgen. Dass es sich dabei keineswegs nur um die Terrakottaarmee handelt, will die Bundeskunsthalle in der Ausstellung "Xi'an - Kaiserliche Macht im Jenseits. Grabfunde und Tempelschätze aus Chinas alter Hauptstadt" beweisen.

Auf die Präsentation kaiserlicher Krieger verzichtet aber auch diese Antikenschau nicht. Sieben Figuren belegen exemplarisch ihre Typenvielfalt. Weder ihre Gewänder sind im Sinne des Wortes "uniform" noch ihre Physiognomien und Haartrachten. Alle Figuren unterscheiden sich beispielsweise auch durch statische Haltung oder lebhafte Bewegung.

Während der hockende "Grüne Soldat" die alte, aufwändig konservierte, doch verblasste Farbfassung vorführt, demonstrieren zwei Nachbildungen mit Originalpigmenten die wohl ursprüngliche geradezu poppige Polychromie. Nicht nur militärischen Schutz wünschte der Kaiser im Jenseits; er verlangte seinen gesamten Hofstaat, Unterhaltung durch Musikanten und Akrobaten, Entspannung in der durch Vögel belebten Natur.

Vier lebensgroße Tiere - Kranich, Gans und zwei Schwäne - belegen die exakten Kenntnisse des kaiserlichen Bronzegießers. Der Ausstellungsparcours, der einer Wanderung durch die weite Grablandschaft gleicht, führt weiter zum Grab des Han-zeitlichen Fürsten Bin Wang, der in seiner Grabkammer jenseitiges Wohlleben heraufbeschwören ließ. Al-secco-Malereien zeigen eine Bankettszene.

Auf die linke Seite hat der Maler die Herren, auf die rechte die Damen unter elegante Scheindraperien gesetzt, und dies in strenger Frontalität. Mit der Perspektive, die vermutlich erst im 17. Jahrhundert durch Missionare nach China importiert wurde, wusste er noch nicht so recht umzugehen. Sein Kolorit ist von Rot, Schwarz und Erdfarben beherrscht.

Immerhin 86 Gruben umgeben sternförmig den künstlich aufgeschütteten Grabtumulus Yangling des Han-Kaisers Jingdi. Aus einer wurde eine ungewöhnliche Figurenformation aus 20 nackten Menschlein und 20 kleinen Tieren zu Tage gefördert. Den ehemals bekleideten weit unterlebensgroßen zehn Männern, zwei Frauen und acht Eunuchen fehlen die Arme.

Sie waren aus Holz gebildet und ihnen, Gliederpuppen gleich, in die Terrakottakörper eingesetzt. Eine anmutig bewegte Tänzerin aus Ton bestätigt, dass der Kaiser die gewohnte Zerstreuung auch nach dem Tode nicht missen wollte. Von der Kunstfertigkeit der chinesischen Goldschmiede zeugt die filigrane, mit Perlen und Türkisen besetzte Krone der Tang-Prinzessin Li Chui, die im Grab auch mit einem juwelengeschmückten Bronzespiegel ausgestattet war.

Ein Fundfoto zeigt einmal mehr, was die Restauratoren bei der Rettung der Kunstwerke zu leisten hatten. Ganz offensichtlich dominierte in der Bildhauerkunst Chinas die Modellierung mit dem Ton aus den ergiebigen Gruben des Landes. Aus dem Mausoleum Zhaloing des Tang-Kaisers Taizong aber stammen die gemeißelten Figuren zweier Gesandter, überdies (als Kopie) das Relief eines seiner Lieblingshengste.

Von großem ästhetischen Reiz zeigt sich eine in Nebenkammern des Mausoleums geborgene Kamelkarawane. Die zahlreichen Reiter und Reiterinnen - wiederum aus Terrakotta gebildet - erinnern an die großen Handelsreisen auf der Seidenstraße. Dass es den Verantwortlichen der exklusiven Ausstellung insbesondere auf die Darstellung der Fundkontexte und der Objektsicherung ankommt, belegt nicht zuletzt auch der 1981 entdeckte Gold- und Silberschatz aus der Reliquienkammer des Famen-Tempels.

Er repräsentiert den jüngeren buddhistischen Ritus herrscherlicher Opferspenden.

Wann und wo die Archäologen die erste Öffnung eines Kaisergrabes wagen, bleibt vorerst noch ein Rätsel. Vielleicht aber begegnen sie auch dann wieder solchen Furcht erregenden Grabwächtern und Dämonen, die Unheil abwehren und die Toten vor bösen Geistern schützen sollten.

Bundeskunsthalle; bis 23. Juli. Di, Mi 10-21, Do-So 10-19 Uhr. Katalog 25 Euro.

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