Ausstellung im Kunstmuseum Eintauchen in eine neue Welt

Bonn · Das schwedische Künstlerduo Christer Lundahl und Martina Seitl im Kunstmuseum Bonn.

 Sehen und Erinnern: Experiment von Christer Lundahl und Martina Seitl im Kunstmuseum Bonn.

Sehen und Erinnern: Experiment von Christer Lundahl und Martina Seitl im Kunstmuseum Bonn.

Foto: Schoenebeck

Die zarte Stimme von Martina Seitl klingt, als ob ich ihr vertrauen kann. Mit Kopfhörern und einer Weißbrille, die mich vor sämtlichen Umgebungseindrücken abschirmt, ist das auch notwendig. Denn der Körper reagiert mit Unsicherheit, auch wenn mein Verstand weiß, dass ich im Kunstmuseum – höchstwahrscheinlich – nicht zu Schaden kommen werde. Die Stimme im Ohr, wechselndes Licht direkt vor den Augen, bisweilen mit schemenhaften Umrissen und meine Erinnerung sind das Einzige, was momentan meine Wirklichkeit bestimmt. Ich bin mir ziemlich sicher, dass sich weitere Besucher im Ausstellungsraum befinden, aber außer gelegentlichen zufälligen Berührungen kommt es zu keiner Interaktion. Jeder ist in eine eigene Welt eingetaucht.

Wir befinden uns in der sogenannten zweiten Phase einer Ausstellung, in der es um das Sehen und Erinnern geht und die vom schwedischen Künstlerduo Christer Lundahl und Martina Seitl, beide Ende 30 und in Stockholm lebend, konzipiert wurde. Die Einladung war von Sally Müller, aktuell Volontärin am Kunstmuseum, gekommen, die damit das in der zeitgenössischen Kunst virulente Thema der Immersion, das komplette Eintauchen in das Werk, in der Ausstellungspraxis des Hauses aufgreifen wollte.

Die Immersion, also die Auflösung der Grenze zwischen Betrachter und Kunstwerk, beginnt in der ersten Phase mit einem noch eher konventionellen Rundgang durch eine kleine Ausstellung mit Werken von Max Ernst („Grätenwald“), Adolf Seehaus („Leuchtturm mit rotierenden Strahlen“) und den wunderbaren Landkarten der „Neuen Welt“ von Stephan Huber. Auf dem ausgehändigten Smartphone wird man zum Mitleser eines informellen Dialoges zwischen Sammler und Besucher, über Kopfhörer gibt es Anweisungen zum Betrachten der Werke. In der zweiten Phase besetzen Lundahl/Seitl dann komplett die Sinne und leiten den Besucher über seine eigene Erinnerung zu den zuvor gesehen Werken zurück. Geleitet von weiteren Anweisungen und externen Reizen wie synchronisierten Lichteffekten und dreidimensionalen Geräuschen wird man ermutigt, die zuvor gesehenen Kunstwerke gedanklich zu rekonstruieren.

Man findet sich in den knackenden Felsspalten der Dolomiten wieder, hoch oben im Leuchtturm inmitten stürmischer See oder umschwirrt als Motte das helle Licht der Straßenlaterne. Der Betrachter ist zum Neuschöpfer der Werke geworden, unter Anleitung der Künstler und mit Hilfe seiner individuellen und selektiven Erinnerung. „New Originals“ – so der Ausstellungstitel – werden geschaffen und zwar von jedem Besucher in unverwechselbarer Form. Am Ende des etwa halbstündigen geführten Ausstellungsrundganges nehme ich die Brille ab, schaue in andere, Orientierung suchende Augenpaare und kehre langsam in die gewohnte Dingwelt zurück. Man könnte, so der Schlussgedanke, den Rundgang zu einem späteren Zeitpunkt wiederholen. Um die eigene Überwältigung und Distanzlosigkeit, ohne die das Erleben der Installation von Christer Lundahl und Martina Seitl nicht möglich ist, als Form der Kunstbetrachtung zu reflektieren.

Kunstmuseum Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 2, Eröffnung 8. März, 20 Uhr; bis 28. Mai, Di-So 11-18, Mi 11-21 Uhr. Katalogpräsentation und Dialogführung am 2. April, 12 Uhr mit Kuratorin Sally Müller und Videonale-Chefin Tasja Langenbach.

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