Chilly Gonzales in der Philharmonie Er kriegt sie alle

Köln · Chilly Gonzales weiß, was er will. "Wichtig für mich ist, dass ich jüngere Leute überhaupt noch erreiche", sagt der 42-jährige kanadische Pianist und Komponist. Dafür legt er sich mächtig ins Zeug. Wer sich am Sonntag- und Montagabend in der Philharmonie umsah, konnte erkennen: Mission erfüllt.

 Markenzeichen Morgenmantel: Chilly Gonzales, bürgerlich Jason Charles Beck.

Markenzeichen Morgenmantel: Chilly Gonzales, bürgerlich Jason Charles Beck.

Foto: Thomas Brill

So viele junge Menschen versammeln sich selten im Kölner Konzertsaal. Sie erlebten, wie Gonzales, das Kaiser Quartett, der Schlagzeuger Joe Flory und der Sänger Jarvis Cocker in gut zwei Stunden ein effektvolles Feuerwerk abbrannten.

Klassische Musikhochamtsstimmung ist Gonzales ein Gräuel. Der Musiker, der zum vierten Mal hintereinander zum Jahresende in der Philharmonie auftrat, versteht sich als Entertainer. Und so absolvierte der Mann in Morgenmantel und Filzpantoffeln ein Programm, das es in sich hatte. Der Abend bot Klassik und Pop, zarte Poesie und obszönen Rap, perlende Pianoläufe und martialische Rhythmen, Klangschönheit und ein bisschen surrealen Wahnsinn. Witzig war Gonzales auch. Allein wie er den Titel eines Stückes erklärte, zum Beispiel "Rideaux lunaires" in es-Moll, hatte Unterhaltungswert. Genauso wie die rhetorischen Salven gegen den Lieblingsfeind Richard "f***ing" Wagner. Das Publikum reagierte begeistert.

Gonzales' zwischen Klassik und Jazz irrlichternde Klaviermusik umschmeichelt den Hörer. Seine Gegner schmähen ihn als Erik Satie für Arme. Zu Unrecht, wie das Konzert bewies. Er begann solo mit Werken aus den Notenheften "Solo Piano I" und "Solo Piano II". Gemeinsam mit Streichquartett und Schlagzeug entwickelte Gonzales danach seine minimalistischen, aufs Wesentliche reduzierten musikalischen Entwürfe. Er steigerte sie im Zusammenspiel zu komplexen Gebilden, akzentuierte die Leichtigkeit ebenso wie den rhythmischen Furor. Gonzales, der als Jason Charles Beck geboren wurde und zunächst Schlagzeug spielte, traktierte seinen Flügel ein ums andere Mal wie ein entfesselter Drummer. Er rockte die Philharmonie.

Der Sänger Jarvis Cocker, 51, und seine Band Pulp haben 1995 mit "Different Class" eines des besten Alben des Britpop herausgebracht. Stücke wie "Common People" und "Disco 2000" sind nach wie vor unwiderstehlich gut.

In der Philharmonie präsentierte der hoch aufgeschossene, spillerige Cocker eine Weltpremiere, drei von einem Hotel in Los Angeles und dem Musso & Frank Grill inspirierte Songs: "Tearjerker", "Bombshell" und "Icecream As Main Course". Das alte Hollywood, etwa in der verführerischen Gestalt von Jean Harlow (1911-1937), stand Pate bei den von Gonzales und Cocker imaginierten musikalischen Kurzgeschichten.

Cocker bewies, dass er seinen Sinn für szenische Theatralik nicht verloren hat. Gonzales, eigentlich der Star des Abends, hatte sich einen ebenbürtigen Partner eingeladen. Das spricht für sein Selbstbewusstsein. Er hält es übrigens mit selbstironischen Pointen im Zaum. Als der Schlagzeuger Joe Flory während eines absurd rasanten Gonzales-Laufs seine Stöcke beiseite legte, seiner mitgebrachten Trompete eine hübsche Phrase entlockte und die Ovationen der Zuhörer genoss, brach aus dem scheinbar skandalisierten Pianisten ein lautes "No!" heraus. Die ästhetische Substanz des Trompeteneinsatzes rezensierte er kurz und hart: "Cheap shit." Jedoch, fügte Chilly Gonzales hinzu, er sei Entertainer, und für Leute wie ihn gelte ein besonderes Gesetz: Das Publikum hat immer recht.

Das Publikum hatte natürlich recht, als es die Musiker feierte und ihnen Zugaben abforderte. Gonzales hat sie alle erreicht: die jungen Leute - und die anderen auch.

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