Fassbare Weite und fühlbare Nähe

Rheinisches Landesmuseum Bonn dokumentiert Franz Radziwills "drohend vertraute Welten"

Fassbare Weite und fühlbare Nähe
Foto: Fischer

Bonn. Es gibt keine Kleinstadtidylle, die durch ihn nicht in Schieflage geriete, keine noch so arkadische Landschaft, in der sich nicht plötzlich Abgründe aufäten. Sogar einem schlichten Stillleben des Malers Franz Radziwill haftet etwas latent Bedrohliches, mindestens Verstörendes an.

"Auf dem Gebiet der Katastrophen-Akribie wird er wohl von kaum einem übertroffen", hat der Publizist Peter Winter einmal geschrieben und die Faszination von Radziwills Kunstwelt "zwischen Bodenständigkeit und Wolkenspuk" angesiedelt.

Radziwill, 1895 an der Unterweser geboren, fast 60 Jahre in Dangast am Jadebusen ansässig und 1983 in Wilhelmshaven gestorben, hat eine ziemlich durchschnittliche deutsche Biografie, ist als Maler jedoch sehr eigene Wege gegangen - auch gegen den Zeitstrom.

Der gelernte Maurer und Bauzeichner - als Maler ist er Autodidakt - erlebte und überlebte zwei Weltkriege, musste insbesondere zwischen 1914 und 1919 den Zusammenbruch aller Werte und gewohnten Verbindlichkeiten des Lebens verkraften.

Der Maler, der anfangs eng mit dem Kreis der "Brücke" verbunden war, reagierte auf die Kriegskatastrophe nicht eruptiv wie seine Kollegen Kirchner oder Beckmann, sondern mit der Kühle der "Neuen Sachlichkeit" und kaum erahnbaren Störelementen und irritierenden Details.

Hier, in den frühen 20er Jahren setzt die faszinierende Ausstellung des Rheinischen Landesmuseums mit dem treffenden Titel "drohend vertraute Welten" an. Mit über 70 Bildern, Zeichnungen und Aquarellen wird der Lebensweg Radziwills bis in die 50er Jahre verfolgt.

Eine bis auf wenige Ausreißer sehr verkapselte, inhaltlich bisweilen hochkomplexe und anspielungsreiche Welt erschließt sich nach und nach. Da wird die Postkartenidylle von Bremen durch den wuchtigen schwarzen Wasserturm bedroht, der wie eine grausige Festung wirkt.

Da erhält die Werft in Wilhelmshaven durch Kriegsschiffe im Hintergrund und düstere Kräne, die an die Architektur-Albträume eines Piranesi erinnern, die Aura des Geheimnisvollen. Radziwills Faszination an allem Technischen trifft hier auf die Angst vor der Veränderung und Zerstörung des gewohnten Lebensraums.

Unwirklich beleuchtet liegen auch Radziwills Landschaften da, die an niederländische Altmeister wie Vermeer oder van Goyen erinnern. Und die durch unheimliche Schatten und Brüche in der Perspektive eine ganz eigene Stimmung bekommen. "Gewittrige Landschaft" heißt ein Bild von 1925, das malerisch die flirrende, energiegeladene, unheilvolle Atmosphäre umsetzt.

Bleiern legt sich der Himmel auf einen roten Backsteinkomplex, von den schwarzen Wolken hebt sich ein Flugzeug ab: "Die Straße", 1928 gemalt, ist von besonderer Bedeutung. Radziwill bekam dafür nicht nur den Großen Preis der Stadt Düsseldorf. Das Bild diente auch, das meint jedenfalls Radziwills Biograf Gerd Presler, als Eintrittskarte ins Professorenamt der Akademie.

1933 trat Radziwill, bereits Mitglied der NSDAP, den Posten des zuvor von den Nazis verjagten Paul Klee an. Radziwill, der 1934 das Nazireich auf der Biennale in Venedig vertrat, bekam den Ungeist der Zeit bald am eigenen Leib zu spüren: Hamburger Studenten entdeckten Werke aus dem expressionistischen Frühwerk des Malers und denunzierten den Professor.

1935 wurde er wegen "pädagogischer Unfähigkeit" aus dem Lehramt entlassen, bald flog er auch aus der Partei. 50 Werke wurden beschlagnahmt, drei davon in der Propagandaschau "Entartete Kunst" verfemt.

Wer in der Ausstellung Spuren der politischen Zeitläufte sucht, wird sie nicht finden, auch das ein Phänomen einer typisch deutschen Künstlerbiografie. Radziwills Universum lag woanders: "Eine fassbare Weite und eine fühlbare Nähe sind die Pole meiner Wanderung durch die Welt."

Rheinisches Landesmuseum, Colmantstraße 14-16. Di-So 10-18, Mi 10-21 Uhr. Katalog 22 Euro.

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