Haus der Geschichte in Bonn "Festakt oder Picknick" beleuchtet deutsche Feier- und Gedenkkultur

BONN · Sie singen die Hymne mit Inbrunst und Hand auf dem Herzen, wedeln mit Fahnen, während die Truppen am Nationalfeiertag vorbeiparadieren, Kampfjets über die Köpfe hinwegdonnern und die Landesfarben an den Himmel malen.

 Der Maler Matthias Koeppel kritisiert in seinem Bild von 1971 die zunehmende Distanz vieler Menschen zum "Tag der Arbeit".

Der Maler Matthias Koeppel kritisiert in seinem Bild von 1971 die zunehmende Distanz vieler Menschen zum "Tag der Arbeit".

Foto: HDG

Im Entree der Ausstellung "Festakt oder Picknick? Deutsche Gedenktage" im Bonner Haus der Geschichte sieht man auf Monitoren, wie unsere Nachbarn feiern können. Unheimlich düster dagegen das erste Kapitel der bundesrepublikanischen Festkultur: Der 8. Mai 1945, je nach Lesart Ende des Zweiten Weltkriegs, Tag der Kapitulation der deutschen Wehrmacht oder Tag der Befreiung von der Hitler-Diktatur.

Nationale Gedenk- und Feiertage sagen viel über den Umgang einer Nation mit der eigenen Geschichte aus: Diesem Gedanken folgt die hochinteressante Ausstellung, die, der Geschichte geschuldet, großteils zweigeteilt ist in eine bundesrepublikanische und eine DDR-Schiene.

Wir erleben im Osten staatlich verordnete Gedenktage wie den 1. Mai ("Kampftag der Arbeiterklasse"), 8. Mai ("Tag der Befreiung"), den 18. August (Jahrestag der Ermordung Ernst Thälmanns), oder den 7. Oktober ("Tag der Republik"). Im Westen hingegen - gelebte Demokratie - eine auf- und abschwellende Dauerdiskussion über politische Feiertage.

Das begann mit dem 8. Mai: "Im Grunde genommen bleibt dieser 8. Mai 1945 die tragischste und fragwürdigste Paradoxie der Geschichte für jeden von uns", formulierte 1949 der spätere Bundespräsident Theodor Heuss, "Warum denn? Weil wir erlöst und vernichtet in einem gewesen sind." Erst 1985 - anlässlich des 40. Jahrestags des Kriegsendes - charakterisierte Bundespräsident Richard von Weizsäcker, ehemaliger Wehrmachtsoffizier, den Kern des 8. Mai als "Tag der Befreiung".

2010 dann wurde Bundeskanzler Gerhard Schröder zu den Siegesfeierlichkeiten nach Russland eingeladen, 2012 durfte Bundespräsident Joachim Gauck in den Niederlanden zur Erinnerung an das Kriegsende sprechen.

Die Ausstellung dokumentiert auch den Mythos und die Debatten um den 20. Juli, an dem an das Attentat auf Hitler 1945 und den Widerstand gegen die Nazis durch die Gruppe um Graf Stauffenberg erinnert wird. Je nach Couleur wurde die Gruppe als Landesverräter oder Widerstandskämpfer bewertet.

Die Ausstellung widmet sich hier dem Thema der Vergangenheitsbewältigung: Inge Scholl, Schwester der 1944 hingerichteten NS-Gegnerin Sophie, kritisierte 1994: "Knapp dreißig Kasernen der Bundeswehr tragen die Namen von Helden aus Hitlers verbrecherischen Angriffskriegen. Nur zehn Kasernen sind nach den hochherzigen Männern des 20. Juli 1944 benannt."

Unumstritten - im Westen! - war der 17. Juni, Jahrestag des Volksaufstandes in der DDR, 1954 bis 1990 gesetzlicher Feiertag und "Tag der Deutschen Einheit". Am 3. Oktober 1990 trat die DDR dem Geltungsbereich des Grundgesetzes bei: Im vereinten Deutschland wurden die Gedenkkarten neu gemischt, der 3. Oktober wurde als gesetzlicher Feiertag im Einigungsvertrag festgeschrieben.

Zuvor, so wird kolportiert, habe der Kanzler der Einheit, Helmut Kohl, in der Ministerpräsidentenrunde nachforschen lassen, ob der 3. Oktober als Datum belastet sei - so wie der 9. November, der 1938 als Reichspogromnacht in die Geschichtsbücher kam und 1989 mit dem Mauerfall verknüpft wird. Der 3. Oktober wurde als unbedenklich eingestuft: Dass Franz Josef Strauß am 3. Oktober 1988 starb, galt nicht als Hindernis.

Was bedeutet den Deutschen der 3. Oktober, der inzwischen von Agenturen zum bunten Pop-Event aufgerüstet wird, das Schwerpunktmäßig etwa 2011 in Bonn begangen wurde und diesem Jahr in Hannover läuft? Einer Umfrage des Hauses der Geschichte zufolge machen 46 Prozent der Bundesbürger an diesem Tag "nichts Besonderes", 29 Prozent wollen "ausschlafen". Nur knapp drei Prozent wollen einer offiziellen Veranstaltung beiwohnen. Für den Rest ist wohl Picknick angesagt.

Info

Haus der Geschichte, Willy-Brandt-Allee 14; bis 6. April. Di-Fr 9-19. Eröffnung: 3. Oktober, 15 Uhr

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