Ausstellung in Leverkusen Fidel Castros späte Rache

Leverkusen · Der kubanische Künstler Diango Hernández hat das gesamte Schloss Morsbroich in Leverkusen in einen „Theoretical Beach“ verwandelt.

 Wellenwerk: Diango Hernández' „Playas de Este (Antonius)“.

Wellenwerk: Diango Hernández' „Playas de Este (Antonius)“.

Foto: Museum

Fidel Castro war berühmt-berüchtigt für seine Reden. Der Máximo Lider Kubas bombardierte sein Publikum dabei nicht selten mit ausufernden, Parolen-geschwängerten Ausführungen, die sich bis zu zwölf Stunden hinzogen und für viele Kubaner so etwas wie das Grundrauschen der Revolution bedeuteten. Sicherlich auch für Diango Hernández, der 1971 in Sancti Spirítus auf Kuba geboren wurde, heute seinen Lebensmittelpunkt zwischen Havanna und Düsseldorf hat. In seiner großartigen Ausstellung im barocken Schloss Morsbroich in Leverkusen, die an diesem Sonntag eröffnet wird, hat Hernández die Wände des gesamten Obergeschosses, darunter eine Raumflucht, die direkt auf den mit überbordenden Rokoko-Ornamenten gefüllten Festsaal zuläuft, mit einer Rede Castros gefüllt. Was für ein Schauspiel! Die Revolution trifft auf feudales Dekor.

Nun ist nicht die gesamte Rede abgebildet – damit hätte man halb Leverkusen tapezieren können, witzelt Kuratorin Stefanie Kreuzer. Hernández konzentrierte sich vielmehr auf die Höhepunkte der Ausführungen und transkribierte die Worte des kubanischen Revolutionsführers in ein System aus wandfüllenden blauen und roten Wellen, letztere beschreiben besonders markante Stellen. Fidels Rede erscheint so als nicht enden wollender Fluss, der die Räume des Morsbroicher Schlosses durchspült, ein beruhigendes Kontinuum.

Dabei handelte es sich durchaus um eine Kampfrede – Hernández hat 41 Mal das Wort „Aggression“ und 49 Mal „Attacke“ gezählt –, in der Castro im September 1960 zum Schutz gegen die USA diplomatische Beziehungen mit China und die Stationierung sowjetischer Raketen auf Kuba ankündigte. Dem sanften Wellenbad in Leverkusen ist diese eminente politische Brisanz nicht anzumerken.

Überhaupt sind in Hernández' Mega-Installation, die sich „Theoretical Beach“ nennt und unglaublich raffiniert die konzeptuellen Ebenen wechselt, immer mehrere Lesarten möglich. Wobei sich der Künstler einer klaren politischen Positionierung enthält. Die Ausstellung ist biografisch, dabei aber nie plump-anekdotisch. Selbst an der Stelle nicht, wo Hernández fremde Kunstwerke aus seiner engsten Wohnumgebung oder den Grundriss seiner Bleibe in Havanna zeigt. Wir sind bei ihm zu Hause, doch kommen nicht an ihn heran. Die häusliche Kunst – eine vegetabil bemalte Vase, der Porzellankopf eines Afrikaners, ein indianisch anmutendes Ornament – zeigt eher verkitschte Exotik, den verzweifelten Versuch, Anschluss an eine ferne, verlorene Tradition und Identität zu finden.

Kuba als Brückenkopf nach Mittel- und Südamerika – wie es zur Konquistadorenzeit war –, als Haltepunkt der Sklavenschiffe und Kreuzung der Kulturen, schließlich als Ort der längsten und gründlichsten Revolution der Welt, wird in dieser Schau immer wieder zum Thema.

Der Stand, eine flüchtige Transitzone zwischen dem Meer und der Insel – eine schöne Metapher –, erscheint als mit Sand und Muscheln paniertes Regal, das einerseits auf ein wehmütiges Sonett von José Lezama Lima Bezug nimmt, andererseits als poetische Erscheinung im Kontinuum der Wellen wahrgenommen wird. Sie sind überall, Hernández' Wellen: Sie überspülen alte Fotos antiker Statuen aus dem Louvre, verdichten sich zu wandfüllenden „Aquarien“ für Fidel, Raul und Che, umspielen Porträts, legen sich über Exemplare des kubanischen Revolutions-Organs „Granma“. Seit 1965 erscheint dieses Blatt täglich, derzeit in einer Auflage von einer halben Million. „Granma“ hieß die Yacht, mit der Castro, Che und 80 weitere Revolutionäre 1956 an Kubas Strand landeten, um den Kampf gegen den Diktator Batista aufzunehmen. Hernández schmückt das Parteiblatt mit seinen lockeren, naiven Wellen und Zeichnungen.

Feine Anspielungen hängen von der Stuckdecke des Leverkusener Schlosses: Leuchter aus gebogenem Kupferohr, auf dessen Enden Orangen stecken. „Fidels Rache“ nannten die Bürger der DDR die Südfrüchte des Bruderstaates, die im Austausch gegen deutsche Zementfabriken von Kuba aus über den Atlantik geschickt wurden. Viel Saft und viele Kerne hatten „diese unreifen grünen Dinger“, wie die Mitglieder der Band „Karat“ bemängelten. Die „Kuba-Orange“ setzte sich im SED-Staat nicht durch. Im barocken Ensemble von Schloss Morsbroich ist sie das I-Tüpfelchen auf eine exzellente Ausstellung.

Museum Morsbroich, Leverkusen; bis 28. August. Eröffnung: Sonntag, 12 Uhr. Di-So 11-17, Do bis 21 Uhr.

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