Aufführung in der Beethovenhalle "Fidelio": Paavo Järvis umjubelte Wiederkehr

BONN · Mit Beethovens einziger Oper "Fidelio" hat sich Bonn in den vergangenen Jahren ein bisschen schwergetan. Seit Günter Krämers Inszenierung aus dem Jahr 2005 hat man sie in Beethovens Geburtsstadt nicht mehr gehört.

Ulrich Tukur liest in der Bonner Fidelio-Aufführung Walter Jens' "Roccos Erzählung".

Foto: Frommann

Dabei hätte Krämers Regiearbeit eigentlich in jährlich wechselnder Galabesetzung integraler Bestandteil des Beethovenfestes werden sollen. Doch die Premiere wurde zu einem Rieseneklat; es gab Zwischenrufe und Randale während der Premiere, und weil das Publikum auch in den Folgevorstellungen nicht bereit war, Freundschaft mit dieser Produktion zu schließen, wurde sie ganz schnell wieder abgesetzt. Dann wurde es still um Fidelio.

In Ilona Schmiels letztem Jahr als Intendantin des Beethovenfestes ist Fidelio zurückgekehrt, wenn auch leider nicht auf die Opernbühne, sondern auf die der Beethovenhalle - für zwei Abende in einer halbszenischen Produktion mit der Deutschen Kammerphilharmonie Bremen unter der Leitung von Paavo Järvi.

In frischer Erinnerung ist noch deren Zyklus mit den Sinfonien Beethovens, den man gar nicht hoch genug wertschätzen kann. Daran knüpfte die Fidelio-Ouvertüre am Freitagabend nahtlos an: dramatisch, pointiert und absolut brillant gespielt. Sie haben nichts verlernt.

Aber Järvi und seine Musiker können auch Oper, können die Feinheiten der Partitur herausarbeiten, wie etwa in dem Quartett "Mir ist so wunderbar", wo die leise musikalische Begleitung die Innenschau der im Grunde jeder für sich singenden Figuren in ein zartes Licht setzte. In diesem Quartett tritt übrigens die Hauptfigur Leonore zum ersten Mal auf.

Sie schleicht sich musikalisch gleichsam in das Stück hinein, genauso diskret wie sie sich unter dem falschen Namen Fidelio und in Männerkleidung in die Dienste des Kerkermeisters Rocco begibt, um ihren Gatten Florestan aus dem Gefängnisloch des Tyrannen Pizarro zu befreien. Sie ist eine energische Frau, wie man spätestens in der Arie "Abscheulicher! Wo eilst du hin?" erfahren darf.

Cécile Perrin, die für Emily Magee eingesprungen war, stieg mit dramatischem Furor ein; ihre Sopranstimme ließ jeden der Gemütszustände Leonores erkennen: Sie durchlebt Zorn und sehnsüchtige Wehmut, sie spricht sich Mut zu und versichert sich zum Ende hin selbstbewusst ihrer eigenen Stärke. Järvi und das Orchester ließen hier in ihrem feingliedrigen Spiel den Gesang gleichsam wie ein Zwiegespräch Leonores mit sich selbst erscheinen.

Auch in Florestans "Gott! Welch' Dunkel hier!" funktionierte das Zusammenspiel blendend. Järvi und die Bremer entwickelten in dem Vorspiel eine unglaubliche, geradezu thrillermäßige Spannung, die den Hörer förmlich in die dunkle Kälte des Kerkers hineinzog und die schließlich in Florestans verzweifeltem Ausruf einen erschütternden Höhepunkt fand. Burkhard Fritz gestaltete diesen Anfang nur um Ausdruck, nicht um Effekt bemüht. Den weiteren Verlauf der Arie, deren Vielschichtigkeit sie beinahe zu so etwas wie einer kleinen Oper in der Oper inklusive strahlendem Finale macht, gestaltete Fritz mit beseelter, kraftvoller Tenorstimme.

Dass Beethovens Fidelio immer auch ein problematisches Stück ist, ignorierte auch diese Aufführung nicht. Vor allem das direkte Nebeneinander von Kleinbürgermilieu und Freiheitspathos, von schlichtem Singspiel mit gesprochenen Dialogen und großer Oper ist keine ganz leicht zu meisternde Herausforderung.

In dieser Produktion verzichtete man auf die Sprechtexte und ließ statt dessen Ulrich Tukur "Roccos Erzählung" von Walter Jens rezitieren. Doch statt den Text tatsächlich als Rückblick aus der Sicht eines charakterlich gereiften alten Mannes zu sprechen, polterte Tukur wie ein in die Jahre gekommener James Dean darauf los. Musikalisch hat der Wegfall der Dialoge etwas für sich. Jedenfalls gefiel die helle lyrische Stimme Mojca Erdmanns als Marzelline ebenso wie der jugendliche Tenor Julian Prégardiens als Jaquino.

Dem Bösewicht Pizarro verlieh Evgeny Niketin mit baritonaler Fülle bedrohlich Gewicht. Dmitri Ivashchenko hob mit weicher Bassfülle die menschliche Seite an Roccos zwiespältigem Charakter hervor. Mit dem Bariton Detlef Roth war auch die kleine Partie des Don Fernando opulent besetzt. Der von Michael Alber einstudierte Deutsche Kammerchor, der schon im ersten Akt gefiel, verhalf dem Freudentaumel des Finales zu außerordentlicher Wirkung. Ein großer, heftig umjubelter Abend, der noch größer geworden wäre, hätte man auf den halbszenischen Klimbim mit viel Stühlerücken verzichtet.