Reihe über US-Fotografen Fotografien von Lewis Baltz im Kunstmuseum Bonn

Bonn · Der Kalifornier Lewis Baltz, einer der großen Vertreter des New Topographic Movement, das in den 70er Jahren die Landschaftsfotografie in den USA revolutionierte und durch Bernd und Hilla Becher auch nach Europa ausstrahlte, widmet sich Un-Orten, Peripherien, dem Niemandsland.

Der große Bruder sieht dich: Der Fotograf Lewis Baltz vor "Ronde De Nuit", einer Abfolge von Überwachungskamera-Bildern im Kunstmuseum Bonn.

Der große Bruder sieht dich: Der Fotograf Lewis Baltz vor "Ronde De Nuit", einer Abfolge von Überwachungskamera-Bildern im Kunstmuseum Bonn.

Foto: dpa

Nüchtern und unromantisch ist sein Blick auf die Welt, das Pathetische und Überhöhte ist ihm fremd, und doch kann man von seinen schier uferlosen Serien nicht lassen, die Detail für Detail eine Landschaft abtasten, zu erfassen versuchen, die gleichermaßen fremd wie vertraut anmutet.

Der Kalifornier Lewis Baltz (Jahrgang 1945), einer der großen Vertreter des New Topographic Movement, das in den 70er Jahren die Landschaftsfotografie in den USA revolutionierte und durch Bernd und Hilla Becher auch nach Europa ausstrahlte, widmet sich Un-Orten, Peripherien, dem Niemandsland. Kein Motiv scheint ihm zu banal, zu bedeutungslos, um nicht akribisch analysiert und in den Kontext einer Serie gestellt zu werden.

Die glänzende und mit über 400 Fotos sehr umfangreiche Retrospektive im Kunstmuseum, die erste in Deutschland, startet mit drei Serien, die Baltz international bekannt machten und am deutlichsten Handschrift und Konzept des Kaliforniers zeigen. In den Serien "Prototype Works" (1967-76) und "The New Industrial Parks Near Irvine" (1973-75) nahm sich der Fotograf die Anonymität von Industriekomplexen und Zweckbauten in der Peripherie der Städte oder gesichtslosen Gewerbegebieten vor. Die Tristesse wird in geradezu schönen, komponiert wirkenden Bildern gefeiert.

Geometrie ist hier alles, sie wird nur gestört durch den Schwung von Schriftzügen oder die feine Silhouette parkender Straßenkreuzer. Mit den "Tract Houses" (1967-71) betrat Baltz das Feld der profansten Wohnkultur: das Leben in Fertighäusern, wobei seine menschenleeren Fotos eher die Botschaft haben, man könne in derlei Häusern gar nicht leben. Durch die Wahl des Ausschnitts raubt Baltz den Gehäusen die dritte Dimension; sie erscheinen als Fläche mit geometrischen Elementen. Fenster, Lüftungsgitter, Kamine treten als isolierte Motive auf, ein subtiler Hinweis auf die in den 1960er Jahren dominierende Minimal Art.

Akribie und technische Perfektion

Von der tristen Vorstadt-Landschaft zu einer vergewaltigten Natur, in der der Mensch seine Spuren, seinen Müll, seine Gifte und uninspirierten Bauten hinterlassen hat: Diesen Weg geht Baltz konsequent mit Serien wie "Park City", "Candlestick Point" und "San Quentin Point".

Mit dem USA-typischen Naturpanorama, wie es ein Ansel Adams kanonisierte, hat Baltz' lapidare Schilderung einer kaputten Landschaft nichts mehr zu tun. Doch die Akribie und technische Perfektion, mit der Baltz arbeitet, der unglaublich feine Sinn für Komposition und Texturen bringt den Klassiker der Topografie und den neuen Topgrafen auf Augenhöhe. Wobei Baltz ehrlicher, radikaler ans Werk geht, vom monumentalen Solitär hin zu einer geradezu filmisch erzählenden Dokumentation in Gestalt einer Serie.

Der eindrucksvollste Zyklus der Ausstellung heißt "Candlestick Point". Das Gebiet "Candlestick Point" unweit von San Francisco war einst ein Werftgelände der US-Navy, verkam dann zur Müllkippe und Brachfläche, wurde seit den späten 1970er Jahren auf Druck der Bevölkerung hin nach und nach zum Naherholungspark ausgebaut. Baltz' zwischen 1984 und 1988 entstandene Serie zeigt mit ihren stilllebenartig oder auch skulptural auftretenden Müll-Ensembles, dass das Ziel damals jedenfalls noch nicht erreicht war. Die als Tableau gehängte Serie verknüpft einzelne Gruppen zu abgeschlossenen Panoramen, weist Fehlstellen auf, wechselt plötzlich vom Schwarz-Weiß zur Farbe.

Es ist nicht die einzige Zäsur: Ende der 80er Jahre zieht es Baltz nach Europa, er lebt in Paris und hat einen Lehrstuhl in Venedig, arbeitet in kleinen Serien, farbig, großformatig. Über zwölf Meter breite Panoramen wie "Ronde De Nuit" (1992-1995) über das Thema permanente Kontrolle durch Überwachungskameras entstehen.

Eine Medizin, in der der Mensch nur ein willfähriges Objekt ist, eine bedrohliche Pharmaindustrie - das sind Komplexe, die Baltz in filmartigen Sequenzen formal sehr raffiniert entwickelt. Fotografie im klassischen Sinn ist für Baltz heute kein Thema mehr, wobei er sich etwa in der Arbeit "The Deaths in Newport" Fotos bedient: Mittels historischer Archivfotos rollt er einen Kriminalfall und Justizskandal aus dem Jahr 1947 in seiner Geburtsstadt Newport auf. Die spannende Recherche steht am Ende einer exzellenten Schau, mit der das Kunstmuseum auf hohem Niveau seine Reihe zur US-Fotografie fortsetzt.

Kunstmuseum Bonn, Friedrich-Ebert-Allee 2; bis 2. September. Di-So 11-18, Mi bis 21 Uhr. Eröffnung: Mittwoch, 20 Uhr. Kataloge (Steidl) 39 Euro.

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