Kölner Palladium Franz Schrekers Oper "Die Gezeichneten" gleicht Psychothriller

Köln · "Es widert mich an", ächzt Alviano Salvago schon in der ersten Szene von Franz Schrekers Oper "Die Gezeichneten". In der Kölner Inszenierung ist der von Weltekel überwältige Mann offenbar Herr über den Schrottplatz, der zwischen den beiden sich gegenüber errichteten Zuschauertribünen im Mülheimer Palladium zu sehen ist. Zu dem Zeitpunkt sind hier bereits zwei Tote zu beklagen.

Ein Mann liegt im Kofferraum eines Schrottautos, eine junge Frau mit durchschnittener Kehle auf ihrem eigenen Bett. Regisseur Patrick Kinmonth, der auch sein eigener Bühnen- und Kostümbildner ist, erzählt die Geschichte der "Gezeichneten", die eigentlich im Genua des Renaissance-Zeitalters angesiedelt ist, mit einem kräftigen Seitenblick aufs Genre des Psychothrillers. Die Musik spielt ihm dabei ganz wunderbar in die Hände.

Schon der leise Beginn der von Markus Stenz feinnervig dirigierten Ouvertüre mit ihrem sonoren Cello-Thema, dem Flirren der Geigen, Harfen und Holzbläser erzeugt ein Schauern. Der Klang nimmt an Intensität zu, schwillt an bis zum brutal ausladenden Tutti eines Riesenorchesters. Zwei Ebenen werden benötigt, um die Musiker im Palladium unterzubringen.

Schrekers im Dritten Reich verfemte und dann lange vergessenen Klänge sind ein bisschen wie die Vermählung von Wagner und Puccini; ungemein süffig, farbig - und immer sehr direkt. Stenz kitzelt hier mit dem glänzend aufgelegten Gürzenich-Orchester alles heraus, was an Sinnlichkeit und Emotionalität in der Partitur steckt. Über drei Stunden lang lässt die Spannung nicht nach - was nicht nur den Musikern, sondern dem Sänger-Ensemble einiges abverlangt.

Dem Wagnererfahrenen Heldentenor Stefan Vinke geht es in der Rolle des Alviano mehr um die Wahrheit des Ausdrucks als um pure Klangschönheit. Nicola Beller Carbone singt die weibliche Hauptrolle Carlotta mit einem dramatischen Sopran, dessen ausdrucksvolle Mittellage besonders überzeugt. Simon Neal gibt dem machohaften Draufgänger Tamare die passend männliche Bariton-Aura. Oliver Zwarg überzeugt als Adorno mit machtvollem Bassbariton. Durchweg gut besetzt sind die vielen, vielen kleineren Solopartien.

Die eigentliche Handlung erscheint in Kinmonths Inszenierung als ein Rückblick auf das Geschehen aus der mit surrealen Traum-Fantasien durchsetzten Perspektive des Schrottplatzbesitzers. Im Libretto Schrekers ist Alviano ein reicher Genueser, dessen entstelltes Äußeres einer starken Sehnsucht nach Schönheit gegenübersteht, die ihn das "Eiland Elysium" errichten ließ; ein Lustgarten, den der Außenseiter selbst jedoch meidet.

Seine Freunde aber verführen und vergewaltigen an diesem Ort die Töchter Genuas. "Dass wir die Feinsten und Schönsten erwählen, ist ein Zeichen für unsern Geschmack", brüstet sich der Edle Menaldo. Zum Zeitpunkt, als Alviano angewidert vom Treiben der Herren ihnen den Lustgarten entziehen will, lernt er selbst die schöne Künstlerin Carlotta kennen und verliebt sich in sie. In Kinmonths Inszenierung sieht sie mit Lederjacke und Stirnband ein bisschen aus wie eine Rockerbraut. Ihr Atelier ist eine Art Glashaus, das gegenüber von Alvianos abgewrackter Bleibe steht.

Die Traumperspektive ermöglicht Kinmonth, Genua durch die Hintertür in seine Inszenierung einzuführen. Die Freunde Alvianos tragen die Mode genuesischer Patrizier, immer wieder ziehen anonyme Statisten als seltsame erotische Fantasien durch die Szene. Das Verschränken von Renaissance-Traumwelt und Köln-Mülheimer Schrottplatz-Realität gelingt nicht durchgehend schlüssig. Gerade im zweiten Akt, wenn sich Tamare und Adorno in ihren Renaissance-Kleidern gegenüberstehen, lässt sich die Situation allein schon wegen der handfesten Dinge, die in ihrem langen Gespräch verhandelt werden, schwerlich als Teil von Alvianos Traum deuten.

Die anschließende Szene mit Alviano und Carlotta hingegen gehört zu den ganz starken Momenten des Abends. Die Künstlerin hat ihn eingeladen, ihr Modell zu sitzen. Ein Seelen-Porträt soll es werden, was in der psychologisch präzisen Personenführung ergreifend herüberkommt. Im dritten Akt, wo sich über weite Strecken in den packend choreografierten Massenszenen Traum und Wirklichkeit vollends durchmischen, überrascht Kinmonth mit einem überaus klugen Kunstgriff: die Schönheit des Eilands Elysium besteht aus zahllosen Gemälden Carlottas. Neugierige Besucher betrachten sie aufmerksam. In diesem Umfeld erlebt man einen von Eifersucht getriebenen Alviano, der am Ende im Wahnsinn seinen Nebenbuhler Tamare und Carlotta tötet - die, wie zu Beginn, mit durchschnittener Kehle auf ihrem Bett liegt.

In den letzten Jahren waren im benachbarten Bonn zwei Opern Schrekers erfolgreich über die Bühne gegangen. Jetzt hat das Fieber auch Köln erfasst: Das Publikum beklatschte die Premiere sehr ausdauernd.

Weitere Aufführungen: 25., 27. April, 2., 5., 12., 18. Mai; Karten in den Bonnticketshops der GA-Zweigstellen.

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