Abschluss des Jazzfests Bonn Frenetischer Applaus für das Wayne Shorter Quartett

Bonn · Das Bass-Intro erinnert zunächst an das Thema von "A Love Supreme", aber nur für den Hauch eines Augenblicks, dann steigt das Piano mit Blockakkorden ein, das Schlagzeug nimmt den Rhythmus auf. Wayne Shorter zögert, bevor er auf dem Tenorsaxofon sparsame Linien spielt.

 Gut aufgelegt: Wayne Shorter ist jenseits der 80 immer noch ein Draufgänger. Im Telekom Forum bot er zum Abschuss des Jazzfests einen großen Abend.

Gut aufgelegt: Wayne Shorter ist jenseits der 80 immer noch ein Draufgänger. Im Telekom Forum bot er zum Abschuss des Jazzfests einen großen Abend.

Foto: Electronic Beats/ Eduard Melzer

Das Quartett startet sein Set am Sonntag, dem letzten Jazzfestabend, im Telekomforum mit "Zero Gravity". So nennen Shorter, Brian Blade (Drums), John Patitucci (Bass) und Danilo Pérez (Piano) ihre Methode: Im Kosmos des 80-Jährigen Saxofonisten herrschen völlig andere Gesetze. Alles ist möglich, alles muss möglich sein, die Richtung ist unvorhersehbar. Auch wenn vor ihnen die Noten liegen - gespielt wird, was sich dahinter verbirgt.

Und so erkennt man "Zero Gravity" vor allem an seinen Spannungsbögen, an seiner dramatischen Steigerung, für die insbesondere Blade mit seinem vulkanischen Spiel verantwortlich ist. Kaum zu glauben, dass er in der Jazzszene als der "zärtlichste" Drummer gilt. Doch wie der Rest dieser Truppe ist er vielseitig wie das Leben selbst. Und so bleiben auch von "Witch Hunt" wenig mehr als die bekannten Quarten des Pianos und die blueshaften Basslinien, und diese auch nur in ihren baulichen Umrissen. Shorter treibt seine Mitspieler an, sich völlig frei zu machen, alles zu riskieren, sich verletzbar zu machen und gerade dadurch in neue Dimensionen vorzudringen.

Auf die Frage, ob es stimme, dass das Quartett niemals probe, antwortete Shorter einmal: "Wie soll man einen magischen Moment einstudieren?" Und Patitucci gestand, mit Shorter aufzutreten sei, "als würdest du ständig am Rande des Abgrunds gehen". In diesem Quartett gibt es keine Phrasen, keinen Small Talk und auch nicht die übliche Songstruktur. Jeder ist gleichberechtigt. Wie die Band spielt und kommuniziert, erinnert an die Ringe eines Magiers, der sie vor den Augen des erstaunten Publikums ineinandersteckt und wieder auseinandernimmt. "Orbits" klingt auf dem aktuellen Album "Without A Net" schon völlig anders als im Original ("Alegria").

Und auch bei "She Moved Through The Fair" wird das Thema von Bass und Piano zerhackt, bis nur noch Moleküle übrigbleiben und es völlig neue Freiheiten gibt. Mal setzt Shorter auf dem Sopransaxofon wie beiläufig hingeworfene Ausrufezeichen, dann spielt er traumhafte Sequenzen, um diese im nächsten Augenblick mit wilden Ausbrüchen aufzubrechen. Das Publikum wird Zeuge von inneren Offenbarungen, denn in Shorters musikalischem Weltbild macht genau das den Jazz aus, eine Musik voller Wagnisse und Ehrfurcht vor der persönlich geschaffenen Klangskulptur.

Die Band ist glänzend aufgelegt, Shorter bester Laune. Der sonst stets so ernst wirkende Musiker lacht, pfeift zwischendurch, scheint hochzufrieden mit seinen Jungs. Kann er auch: Petitucci und Blade treiben sich derart an, dass sich immer wieder die Bassdrum selbstständig macht, Pérez zeigt sich von einer immensen Vielseitigkeit.

Und Shorter? Die Eloquenz, die Kraft und das schier unendliche Potenzial, das von seinem Spiel ausgeht, sind erstaunlich.

So gut aufgelegt, wagen sie sich auch an die ganz frischen Kompositionen "Lotus" und als Zugabe an das von Beethovens Ballett inspiriertes "Prometheus Unbound" heran. Umwerfend! Shorter mag biologisch die 80 Jahre überschritten haben, in seinem Herzen aber ist er immer noch der junge Draufgänger, der schon seine Weggefährten Art Blakey, Miles Davis und Joe Zawinul faszinierte. Für die vielen magischen Momente des Abends gab es vom Publikum frenetischen Applaus.

Zuvor präsentierte "Electronic Beats meets Jazzfest Bonn" noch Matthew Herbert mit einer gut aufgelegten Big Band und Sängerin Alice Grant, die sich vom vielen elektronischen Ächzen, Knirschen und Stampfen des Elektroniksoundtüftlers nicht aus der Ruhe bringen ließen: Nicht viel mehr als Cartoonland meets Jazz, aber recht amüsant.

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