Reflexionen über das Scheitern Fringe-Ensemble präsentiert "Der Freiheit eine Gasse!" im Dialograum St. Helena

BONN-NORDSTADT · Mehr als drei Dutzend Zuschauer diskutierten bei Brot und Wein nach der zweiten und leider letzten Aufführung noch lange im Dialograum St. Helena über die Implikationen eines zwischen politischer Vernutzung und medialer Verflachung aufgeriebenen Begriffs.

 Woodstock im Dialograum: Szene aus "Der Freiheit eine Gasse!" in St. Helena.

Woodstock im Dialograum: Szene aus "Der Freiheit eine Gasse!" in St. Helena.

Foto: Fringe

Der Künstler Eduardo Serú zeichnet kleine Guillotinen, die auf die Backstein-Rückwand im ehemaligen Kirchenraum von St. Helena projiziert werden. Die Hinrichtungsmaschinerie tut ihr blutiges Werk in der französischen Revolution, die unter dem Motto "Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" angetreten ist.

Manchen Anhängern des tugendhaften Robespierre arbeitet das Fallbeil noch zu langsam in Georg Büchners Drama "Dantons Tod", das das Fringe-Ensemble zum Anlass genommen hat für eine szenische Auseinandersetzung mit dem Begriff "Freiheit". Ein fertiges Stück ist "Der Freiheit eine Gasse!" - den bekannten Ruf legt Büchner bezeichnenderweise dem Souffleur Simon in den Mund - nicht geworden. Eher der Versuch über das Entgleiten einer Vorstellung.

Richie Havens? Woodstock-Song "Freedom" wird ebenso per Video eingespielt wie historische Filmschnipsel und Bilder von heutigen Revolutionen. Dem demagogischen Freiheitspathos der politischen Reden stellte schon der 21-jährige Büchner 1835 den Hedonismus eines Danton gegenüber, der individuelle Freiheit verlangt. Büchners intertextuelles Verfahren - sein Drama besteht zu knapp 20 Prozent aus wörtlichen Zitaten - nimmt Frank Heuel in seiner Inszenierung auf, für die der Autor Lothar Kittstein im Internet nach neuem Sprachstoff forschte und in diversen Blogs unterwegs war. Ein zappeliger Kapital-Kiffer aus dem Universum des Neoliberalismus (Andreas Meidinger), eine sexsüchtige Frau (Bettina Marugg) und allerhand andere Gewächse einer Fantom-Freiheit des 21. Jahrhunderts tauchen auf.

Alles Googeln hat nicht viel geholfen angesichts der Aushöhlung der Freiheits-Utopie. Zumal der unfreiwillige Zeitdruck die Recherche einschränkte. Deshalb zitiert Regisseur Heuel vom bequemen Sessel aus einfach den vorgängigen Mail-Dialog mit Lothar Kittstein und spiegelt damit dessen Reflexionen über das Scheitern vorwärts in die Bühnenwirklichkeit. Ein geläufiger Kunstgriff, der das Entstehen einer Arbeit selbst zum Thema macht.

Möglicherweise fristet Freiheit ihr ehrlichstes Dasein inzwischen tatsächlich im banalen Werbespot- und Schlager-Universum, wo man lustvoll über den Wolken schwebt. Vom brüchigen Glauben daran singen die drei Spieler tapfer im Kanon und treffen damit unversehens wieder auf Büchners ironischen Geschichtspessimismus. Witziger hat man das freilich bei der frechen Pop-Version von "Leonce und Lena" in den Kammerspielen.

Mehr als drei Dutzend Zuschauer diskutierten bei Brot und Wein nach der zweiten und leider letzten Aufführung noch lange im Dialograum St. Helena über die Implikationen eines zwischen politischer Vernutzung und medialer Verflachung aufgeriebenen Begriffs. "Eine Frage der Freiheit" stellte das sparten- und religionsübergreifende Kulturprojekt, das am Dienstag zum Abschluss um 20 Uhr bei freiem Eintritt einlädt zu einer Begegnung mit dem tschechischen Freiheitskämpfer und Theologen Tamá? Halik. Eine Fortsetzung ist im November 2014 geplant.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Die Stunde der Sieger
Abschluss Deutscher Musikwettbewerb in Bonn Die Stunde der Sieger
Zum Thema
Aus dem Ressort