Frischer Wind für die Hauptstadt

Vor 40 Jahren wurde das "Lyrische Studio" gegründet - Eine private Initiative holte nahezu alle Autoren nach Bonn, die die das Gesicht der Nachkriegs-Literatur geprägt haben

Bonn. Schon der Anfang war ein Signal. Als am 30. Januar 1967 Deutschlands wohl letzter bedeutender Naturlyriker Karl Krolow im hoffnungslos überfüllten Contra-Kreis-Theater sein Publikum zu wahren Begeisterungsstürmen bewegte, da ahnte freilich noch niemand, dass hier die Geburtsstunde einer der erfolgreichsten Kulturinitiativen der Stadt geschlagen hatte.

Das "Lyrische Studio Bonn", gegründet von Nani und Hanke von Schweinitz, schaffte es immerhin, in den folgenden knapp zehn Jahren 66 der bedeutendsten Schriftsteller aus 16 Ländern mit 70 Lesungen vor 20 000 Besuchern in der Bundeshauptstadt zu präsentieren. Doch die dürre Statistik sagt wenig über die eigentliche Bedeutung dieser rein privaten Initiative.

Bonn definierte sich in jenen Jahren noch fast ausschließlich politisch, bestenfalls als Universitätsstadt. Zwar hatten der damalige Kulturdezernent Fritz Brüse und sein rühriger Referent Jürgen Nagel erkannt, dass politische Führung auch eines kulturellen Hintergrundes bedarf. Aber in der Bürgerschaft ließ sich das schwer durchsetzen.

Das Stadttheater dümpelte in solider Handwerklichkeit dahin, zeitgenössische Dramatik gab es nur im Contra-Kreis zu sehen. Das Kunstmuseum ächzte unter seiner räumlichen Beschränktheit, und sein Direktor Eberhard Marx konnte sich mit seiner avantgardistischen Ankaufspolitik im Stadtrat nur durch ständige Rücktritts-Drohungen einigermaßen behaupten. Es gab kein Literatur-Haus und auch keine Buchhandlung, die sich der direkten Vermittlung von Literatur gewidmet hätte.

Da mussten schon zwei absolute Außenseiter in privater Initiative für frischen Wind sorgen: Die Patentrechts-Spezialistin Nani von Schweinitz und ihr Mann, der Rechtsanwalt Hanke von Schweinitz, unternahmen es mit einem rasch gegründeten Förderkreis, alles nach Bonn zu holen, was in der literarischen Szene Rang und Namen hatte.

Unterstützt von Bonner Hoteliers (zum Beispiel Volker Günnewig), der Buchhandlung Behrendt (Manfred Herbert), dem Contra-Kreis (Katinka Hoffmann), dem Rheinischen Landesmuseum (Hugo Borger) und der Universität Bonn (Allermann), die kostenlos Räume zur Verfügung stellten, gelang es ihnen, die Idee des "Lyrischen Studios" zu etablieren.

Am Anfang ausschließlich finanziert von Eintrittsgeldern, Beiträgen des Fördervereins und notfalls aus dem privaten Portemonnaie schaffte die Initiative einen regelrechten Befreiungsschlag. Das Publikum rannte dem Studio geradezu die Bude ein. Funk und Fernsehen sorgten für überregionale Aufmerksamkeit.

Und bald regten sich auch die Botschaften, um die Autoren ihres Landes in Bonn zu präsentieren. Das Lyrische Studio zeichnete sich von vornherein durch eine Besonderheit aus: Es hatte in jeder Hinsicht einen sehr persönlichen, fast privaten Charakter. Das Ehepaar Schweinitz reiste von Autorentreffen zu Autorentreffen, um die potenziellen Gäste kennenzulernen und für einen Besuch in der Bundeshauptstadt zu gewinnen.

Daraus ergaben sich Bindungen, Freundschaften, zumindest aber sehr privat begründete Begegnungen. Und das schlug sich auch in den Lesungen selbst und den anschließenden Treffen mit dem Publikum nieder. Die üblichen Diskussionen nach den Lesungen vermied man bewusst. Aber jeder, der wollte, konnte die Autoren zu einem Glas Bier, einem Schoppen Wein begleiten oder auch an einem gemeinsamen Essen teilnehmen.

Das Schwergewicht der Lesungen lag auf der Lyrik, aber auch Romanciers wie Martin Walser fanden den Weg nach Bonn. Von Paul Celan bis Peter Handke, von Ernst Meister bis Günter Eich, von Peter Härtling bis Walter Höllerer, von Ernst Jandl bis Ingeborg Bachmann kamen so ziemlich alle Autoren nach Bonn, die das Gesicht der deutschsprachigen Nachkriegs-Literatur geprägt haben.

Aus der DDR brachte - oft unter abenteuerlichen Umständen - das Lyrische Studio die namhaftesten Dichter wie Erich Arendt, Peter Huchel, Stephan Hermlin, Günter Kunert und Reiner Kunze in den Westen. Unter den Gästen aus dem Ausland waren Nobelpreisträger Elias Canetti, Michel Butor und Guiseppe Ungaretti.

Auch die Namen der Autoren standen für eine Zeit des Umbruchs: Traditionalisten wie Johannes Poethen oder Ilse Aichinger wurden konterkariert von Autoren, die einen ganz neuen, aufrührerischen Ton in die Literatur brachten, wie Wolf Wondratschek oder Günter Wallraff. Auch das Lyrische Studio dokumentierte die Zeitenwende, ohne sich politisch zu engagieren.

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