Dirigent Yannick Nézet-Séguin in der Kölner Philharmonie Fülle des Wohllauts

Köln · Seit 2012 leitet der ebenso sympathische wie dynamische Frankokanadier Yannick Nézet-Séguin, das Philadelphia Orchestra. Sein Charisma bekommt dem Orchester offenbar sehr gut, wie man am Pfingstsamstag in der Kölner Philharmonie erleben konnte. Kein Wunder, dass der 40-Jährige auch einer der heiß gehandelten Kandidaten für die Berliner Philharmoniker war - zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als er kürzlich seinen Vertrag in Philadelphia bis 2022 verlängerte.

Der Auftritt in Köln geriet zu einer musikalischen Sternstunde, die sich allerdings, warum auch immer, vor zahlreichen leeren Stuhlreichen abspielte. Mit einem Stück wie "Mixed Messages" des in den Staaten überaus angesagten jungen Komponisten Nico Muhly zu beginnen, das hier als deutsche Erstaufführung zu hören war, ist in jedem Fall mutig, weil es eine Herausforderung für die Konzentrationsfähigkeit ist.

Sobald der Dirigent das Zeichen gibt, setzt sich dieser musikalische Hochgeschwindigkeitszug in Gang - und zwar ganz ohne Beschleunigungsphase. Die vielfach geteilten Streicher erzeugen eine fiebrig vibrierende Klangfläche, die signalartige Blechbläsereinwürfe vergebens zu stören versuchen.

Auch das Schlagwerk versucht immer mal wieder, den rasenden Klangzug zu bremsen. Das gelingt aber erst ein wenig später, wenn der Rhythmus ein wenig ins Stocken zu geraten scheint. In der mittleren Phase des Stücks schenkt Muhly den Celli eine längere, ungewöhnlich expressive Phrase, die von den Musikern auch in den hohen Lagen wunderbar tonschön vorgetragen wurde. Wie überhaupt sich klangliche Delikatesse und Präzision hier in jedem Takt wunderbar ergänzten. Dem Publikum gefielen Stück und Interpretation ungemein.

Enorm begeistert zeigte man sich jedoch anschließend nach dem Violinkonzert Nr. 1 in a-Moll von Dmitri Schostakowitsch. Wohl auch wegen der Solistin Lisa Batiashvili, die das Werk technisch brillant, mit charaktervollem Ton und ausdrucksstark spielte. Das Werk entstand 1948, ohne Anlass, und im Stalin-Regime ohne die Hoffnung auf eine baldige Aufführung. Erst zwei Jahre nach dem Tod des Sowjet-Diktators fand es seinen Weg in den Konzertsaal.

Man hört viel Schmerz in der Musik, vor allem auch im ersten Satz, ein Nocturne, dessen traurig-singenden Ton Lisa Batiashvili mit packender Intensität spielte. Die rasche Filigranarbeit des Scherzo meisterte sie ebenso perfekt, wie sie den vom Orchester vorgegebenen schicksalhaften Ton der Passacaglia in engelsgleichen lyrischen Gesang verwandelte. Ganz große Geigenkunst zeigte sie in der Kadenz am Ende des Satzes, um sich dann ins lärmende Abenteuer des Finales zu stürzen. Standing Ovations und - mit Nézet-Séguin am Flügel - eine Tschaikowsky-Romanze (Nr. 6 aus op. 73) als Zugabe.

Die große dritte Sinfonie von Sergej Rachmaninow aus der späten Phase des Komponisten scheint in ihrem romantischen Habitus aus der Zeit gefallen zu sein. Was man Rachmaninow aber zugestehen muss, ist, dass er den Orchesterklang liebt. So viel Wohllaut klingt hier. Das Orchester kostete ihn unter Nézet-Séguin gerne aus. Zum Abschied nach langem und begeistertem Applaus gab man dem Publikum noch ein bisschen Kuschel-Klassik mit auf den Weg: Als Zugabe erklang, mit ganz viel Herz gespielt, die berühmte Vokalise von Rachmaninow.

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