Galettes experimentelles Musiktheaterstück in Bundeskunsthalle uraufgeführt

"Von Mücken, Elefanten und der Macht in den Händen" in der Reihe "Bonn Chance"

Galettes experimentelles Musiktheaterstück in Bundeskunsthalle uraufgeführt
Foto: Thilo Beu

Bonn. Das Stück trägt den Titel "Von Mücken, Elefanten und der Macht in den Händen". Nein, ein echter Elefant werde aber nicht auftreten, sagt der Komponist Hannes Galette Seidl.

Auch mit Mückenschwärmen wird er die Zuschauer nicht belästigen - da hat die Kunst gegenüber der Realität doch so ihre Vorzüge. Trotzdem handelt Seidls gerade fertig gestelltes Musiktheaterstück von der Wirklichkeit, allerdings auf ziemlich hintersinnige und subtile Weise. Elefant und Mücke spielen nämlich durchaus eine Rolle in dem Stück, das von Macht und Machtansprüchen, von Ordnungssystemen und ihrer Aufhebung oder Verwandlung in andere Ordnungssysteme handelt.

"Aus einer Mücke einen Elefanten machen" sagt man, wenn eine kleine Widrigkeit mit manischer Energie zu einem gewaltigen Problem umgedeutet wird und dadurch zur Frage führt, wer die Macht und die Mittel hat, dieses Problem zu lösen. Macht aber "beruht auf akzeptierten Vorstellungswelten", erklärt Seidl, "die Kirche etwa hat nur solange Recht, wie man an ihre Realität glaubt."

Aus diesem Grundgedanken entwickelten die Regisseure Melanie Mohren und Bernhard Herbordt zusammen mit dem 30-jährigen Komponisten die Idee für das experimentelle Musiktheaterstück, das sich ausdrücklich als Gemeinschaftswerk dieses Trios versteht. Am Mittwoch wird es im Rahmen von "Bonn Chance" um 20 Uhr in der Bundeskunsthalle uraufgeführt. Seine Realisierung verdankt es dem "Fonds Experimentelles Musiktheater", einer Initiative des NRW-Kultursekretariats in Wuppertal und der Kulturstiftung NRW. Projektpartner vor Ort sind Theater Bonn und Beethoven-Stiftung.

Besetzt ist das Stück mit zwei Schauspielern, drei Instrumentalsolisten (Kontrabassklarinette, Posaune und Schlagzeug) und einem zehnköpfigen Kammerensemble aus Holz- und Blechbläsern sowie Streichern, dazu erklingen live-elektronische Klänge. Hunderte von "Kleinstgeräuschen" hat Seidl zusammen mit dem Elektronik-Tüftler Sébastian Roux aus Paris programmiert.

Auch die Instrumente lässt Seidl eine "kleinteilige Geräuschwelt" formen, einen Kontrast dazu bilden sehr lange Linien, die unmerklich ins gleichsam Bodenlose hinabsinken. Erkundet werden in dem präzise notierten Stück "Überschneidungen" (Seidl) zwischen Musik und Theater. "Musik ist eine eigene Vorstellungswelt", erläutert Seidl, der bei Nicolaus A. Huber und Beat Furrer studiert hat. Doch man könne Musik auch aus der Perspektive des Theaters betrachten. Immer wieder lässt Seidl die Instrumentalsolisten schauspielerische Aktionen durchführen.

Umgekehrt passiert es, dass die Welt des Theaters, der Sprache, gleichsam "musikalisiert" wird, wenn etwa eine Posaune den Textvortrag verdoppelt, eine Stimme elektronisch verfremdet wird, oder aus dem Vorgang des Gehens ein rhythmisches Ereignis wird. Auf diese Weise entsteht ein Spiel mit dem Abwesenden, ein Stück "im Konjunktiv", wie über frühere Werke des Trios einmal gesagt wurde.

Gesungen wird in dem Stück (fast) nicht, gesprochen werden Textpassagen unter anderem von Werner Heisenberg (zur Unschärferelation) oder Daniel Paul Schreber (aus den Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken). Ob der wahnsinnig oder genial war, ist ebenfalls eine Frage der Perspektive. Oder, wie der französische Philosoph Michel Foucault meinte: "Wahnsinn, eine Frage der Macht". Mücken, Macht und Wahnsinn - was das in der Realität bedeutet, erlebt man übrigens jedes Jahr aufs Neue an lauschigen Spätsommerabenden.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort