Geheimfächer und mechanische Spielwerke

Das Neuwieder Kreismuseum gewährt einen Einblick ins Innere der kostbaren Roentgenmöbel - Königshöfe und Fürstenhäuser reißen sich um die Kunstwerke der Neuwieder Möbelmanufaktur

Geheimfächer und mechanische Spielwerke
Foto: Frank Homann

Kreis Neuwied. Deutlich hebt sich die weiße Handschuhhand von dem dunklen Mahagoniholz des klassizistischen Schreibtischs ab. Vorsichtig gleitet sie an der matt schimmernden Oberseite eines Faches entlang, verharrt, drückt eine unsichtbare Feder - und wie von Geisterhand schwingt ein Geheimfach über der Schreibtischplatte im seitlichen Treppenaufsatz des Rollbüros auf.

"Mit solchen kunstvollen Spielereien, aber auch mit den kostbaren Bronzerosetten und -applikationen an seinen klassizistischen Möbelstücken, wusste David Roentgen (1742-1807) seiner adligen Kundschaft zu gefallen", berichtete Bernd Willscheid. Der Leiter des Kreismuseums Neuwied hatte zu einer Führung "Ins Innere der Roentgenmöbel" eingeladen.

Bis ins ferne Petersburg, in die Residenz der Zarin Katharina der Großen, gingen fünf große Lieferungen des Neuwieder Kunsttischlers (1783-90), der von Ludwig XVI. und Marie Antoinette schon 1779 mit dem Ehrentitel "Ebeniste mecanicien du roi et de la reine" ausgezeichnet worden war.

"Auch bei diesem Rollbüro sind die Beine abschraubbar, damit es besser transportiert werden konnte", erzählte Willscheid. Es gehört zu den kostbaren Leihgaben aus rheinischen Privatsammlungen, die dem Museum zur Verfügung gestellt wurden. Nach dem Aufschließen der Schreibplatte lässt sich diese herausziehen und setzt einen Mechanismus in Gang, durch den sich das runde Deckrollo in das Möbelstück zurück schiebt. Erst so werden die Schubladen und offenen Fächer des Schreibtischaufbaus sichtbar.

Nicht nur die Zarin, Könige und Fürsten waren von den Roentgenmöbeln begeistert. Selbst Goethe, dessen Vater schon zu den Kunden von Abraham Roentgen (1711-1793) gehörte, bewunderte die kunstvollen Schreibtische. In seinem Märchen "Die neue Melusine" beschreibt er sie ausführlich als "Zauberschloss".

Prunkstück des Kreismuseums ist die Apollo-Uhr (1785) aus dem Besitz Katharinas. 1928 gelangte sie auf die so genannte "Russen-Auktion" in Berlin. "Für 18 000 Reichsmark ersteigerte der Neuwieder Oberbürgermeister damals die Uhr für das Kreismuseum, das bis dahin nur Fotografien von Roentgenmöbeln zeigen konnte", erzählte Willscheid. Heute würde eine solche Standuhr rund 650 000 Euro kosten.

Vorsichtig öffnete Willscheid eine der seitlichen Türen des Uhrenkastens. Wie kleine Orgelpfeifen trat neben dem Achttage-Gehwerk und dem Rechen-Stundenschlagwerk das Flötenwerk zu Tage. "Zusammen mit dem kleinen Hammerwerk, das einen zarten Cembalo-Klang produziert, spielten die Flöten jede Stunde eine Melodie. Urheber dieses mechanischen Kunstwerks war der Neuwieder Peter Kinzing, Mitarbeiter und Geschäftsfreund von David Roentgen", erklärte Willscheid.

Ihren Namen verdankt die pompöse Standuhr dem Gott der Musen und des Lichts, Apoll, der umgeben von einer Säulenbalustrade mit Vasenpodestamenten goldglänzend an einen Felsen gelehnt die Uhr krönt. Auch das emaillierte Ziffernblatt unter dem Dreiecksgiebel wird von einer vergoldeten Bronzefigur getragen. Es ist der geflügelte Chronos, der Gott der Ewigkeit. Als deren Symbol gilt auch die sich zum Kreis ringelnde Schlange, die sich in den Schwanz beißt. Die kreisrunde Schlange bildet den Stundenzeiger, indem sie mit ihrem Kopf auf die jeweilige Zahl auf dem Ziffernblatt weist. Diese Symbolik der Ewigkeit wird nicht nur der Zarin als "Herrscherin des Weltalls" gefallen haben.

Indem die fortschreitenden Stunden lediglich als Abschnitte einer immerwährenden Zeit versinnbildlicht werden, entspricht diese Deutung dem Credo des europäischen Hochadels hinsichtlich seiner gesellschaftlichen Stellung. Dies drückt auch die siebensaitige Lyra Apolls aus, die nicht nur Symbol der Sphärenmusik, sondern auch der unveränderlich harmonischen Weltordnung ist.

Dies erweist sich mit dem Ausbruch der Französischen Revolution als Irrglaube des Adels. Die sich anschließenden Revolutionskriege bedeuten für David Roentgen den Verlust aller Kunden in Frankreich. 1791 noch von Friedrich Wilhelm II. zum "Königlich Preußischen Kommerzienrath" ernannt, schließt er ein Jahr danach seine Manufaktur in Neuwied. Das letzte seiner bedeutenden Möbelstücke, ein Flachschreibtisch aus Mahagoni, ging 1794 an den preußischen König nach Berlin.

Die wertvollen Roentgen-Möbel können im Kreismuseum am Raiffeisenplatz dienstags bis freitags von 10 bis 13 Uhr und von 14 bis 17 Uhr sowie sonntags von 14 bis 16.30 Uhr besichtigt werden.

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