Ausstellung "German Angst" im Bonner Haus der Geschichte

Bonn · Eine Ausstellung im Haus der Geschichte in Bonn befasst sich mit der "German Angst". Themen sind Zuwanderung, Kernenergie, Waldsterben und Datenmissbrauch.

Der Historiker und Publizist Michael Stürmer ist besorgt: Im Deutschlandfunk spricht er am Dienstagmorgen von einer schweren Doppelkrise der Politik. Es gebe „den Zusammenbruch oder das Zerbrechen unseres äußeren Handlungsrahmens“ und im Innern „eine schwere Krise, weil das ganze Parteiengefüge sich radikal verändert“. Über die endlos scheinende Hochkonjunktur, Rekordbeschäftigung, stetig wachsende Lebenserwartung oder soziale Wohltaten in historisch unbekanntem Ausmaß verliert Stürmer kein Wort. Ein typischer Fall von „German Angst“?

Das Bonner Haus der Geschichte will sich diesem Phänomen aus Sicht der Zeitgeschichte nähern. In seiner neuen Sonderausstellung „Angst“ fragt es, ob Angst eine deutsche Gefühlslage sei. Ein Volk der Verzagten und Angsthasen, wie der Begriff „German Angst“ unterstellt, der seit den 1980er Jahren im Umlauf ist?

Um es gleich vorweg zu sagen: Eine Antwort bleiben Kuratorin Judith Kruse und ihr Team schuldig. Viel zu sehr beschränken sie sich auf das Beschreiben und Dokumentieren des Offensichtlichen. Mit kollektiven deutschen Ängsten hätte man das ganze Haus bespielen können, glaubt Stiftungspräsident Hans-Werner Hütter in der Pressekonferenz zur Eröffnung.

Letztlich entschied man sich aus Platzgründen für vier Themen, die wohl niemanden ernsthaft überraschen: Zuwanderung, Kernenergie, Waldsterben und die Angst vor Datenmissbrauch.

Zur Illustration haben die Ausstellungsmacher in gewohnt penibler Recherche 300 teils absehbare, teils erstaunliche Exponate zusammengetragen. Da ist ein vergilbter Brief mit Poststempel vom 5. Mai 1986 aus Süddeutschland, den der Postbote kurz nach dem Nuklearunfall in Tschernobyl „wegen Regen“ nie zugestellt hat. Da hängt ein WC-Deckel aus den eigenen Sanitärräumen, den Besucher 1994 türkenfeindlich beschmiert haben und der daraufhin gleich im Inventar landete. Es gibt auch ein Glas mit der Kohle von 30 Bäumen, die die Staatssicherheit 1983 abfackeln ließ, nachdem ein DDR-Künstler sie aus Protest gegen das Waldsterben heimlich angemalt hatte. Trotz Repression gab es die tiefe Furcht vor der zerstörten Umwelt eben auch jenseits des Eisernen Vorhangs.

In einer kleinen Vitrine steht schließlich ein Gartenzwerg mit einem Plakat „Kein Mensch ist illegal“. Der Zipfelmann gewann 2015 unter 136 Kollegen einen Schönheitswettbewerb in Osnabrück. Deutsche Vorgartenidylle und Willkommenskultur müssen also kein Widerspruch sein.

Immer wieder werden historische Aufreger mit Ereignissen der jüngsten Vergangenheit in Bezug gesetzt. Die CDU-Polemik gegen „Scheinasylanten“ während des Jugoslawien-Krieges in den 1990er Jahren kommt in Sichtweite eines Modells der Flüchtlingswelle zur Sprache, unter welcher der Düsseldorfer Mottowagen-Bauer Jaques Tilly im Rosenmontagszug 2016 Bundeskanzlerin Angela Merkel wegschwimmen ließ. Der Protest gegen die Volkszählung 1987 artikuliert sich neben einem Exemplar einer Datenbrille von Google.

Alles halb so wild, könnte man also glauben. Ob es das Waldsterben nun gab oder nicht, bleibt offen. Aber sechs Wochen nach dem Gau von Tschernobyl gab es immerhin den ersten Bundesumweltminister. Relativieren wolle man die Ängste indessen nicht, versichern die Macher und fragen ausgangs lieber nach einer Angstprognose für 2030. Jeder Besucher ist aufgefordert, mit einem Angstscheibchen die Statistik zu bereichern. Unter den ersten Besuchern sind der demografische Wandel und die Digitalisierung tonangebend. Klimawandel und Krieg stehen als Angstthemen nicht auf ihrer Agenda.

Was Angst spezifisch deutsch machen soll, ob Angst nicht überhaupt ein viel zu großes, plakatives Wort für kollektive Besorgnis ist, wird nicht einmal angesprochen. Man habe „ein diffuses Thema“ bearbeitet, sagt Stiftungschef Hütter ausweichend. Zur Erinnerung an gemeinsam durchschauderte Tage und Nächte mag die Ausstellung manchen Ansatzpunkt liefern. Einen Diskurs führt sie nicht. Schließlich kann die Angst vor Überfremdung kaum als typisch deutsch gelten. Sie ist in ganz Europa von Schweden bis Griechenland präsent. Viele US-Amerikaner halten ihre Präsidenten regelmäßig für Außerirdische.

Schon 1980 haben die Jungs von Monty Python die kollektiven Ängste ihrer britischen Mitmenschen herrlich auf die Schippe genommen. In ihrem Jammer-Lied „I’m So Worried About“ fürchten sie, „was gerade im Nahen Osten los ist“, ebenso wie das Gepäckbeförderungssystem auf dem Flughafen Heathrow. Klingt ganz schön deutsch, oder?

Die Ausstellung „Angst. Eine deutsche Gefühlslage?“ läuft bis zum 19. Mai 2019. Geöffnet von dienstags bis freitags von 9 bis 19 Uhr, samstags und sonntags von 10 bis 18 Uhr. Eintritt frei.

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