Im Haus der Geschichte Germanist Kiesel stellte seine Edition von Ernst Jüngers "In Stahlgewittern" vor

BONN · Mit einem persönlichen Geständnis krönte der Heidelberger Germanist Helmuth Kiesel seinen fulminanten, leidenschaftlichen Vortrag über seine historisch-kritische Edition von Ernst Jüngers (1895-1998) Kriegsbuch "In Stahlgewittern" im Haus der Geschichte; es steht unter schwerem Agitationsverdacht.

 Erschütternder Bericht: "Stahlgewitter"-Editor Helmuth Kiesel im Haus der Geschichte.

Erschütternder Bericht: "Stahlgewitter"-Editor Helmuth Kiesel im Haus der Geschichte.

Foto: Barbara Frommann

Als er seinem wissenschaftlichen Mentor in den 80ern von seinen Plänen erzählt habe, er wolle sich über Jünger habilitieren, habe der Professor gemeint: "Das werden Sie nicht tun. Dann bekommen Sie in Deutschland keinen Lehrstuhl." Kiesel darauf: "Dann werde ich über Alfred Döblin schreiben." Was er auch tat.

Gleichwohl: Der umstrittene Jünger ließ ihn nicht los. Die 1920 erschienenen "Stahlgewitter" las er "mit angehaltenem Atem" - nicht als kriegsverherrlichende Prosa, sondern als "einzigartiges, Material" über den Ersten Weltkrieg, nach dessen Lektüre man niemanden mehr in den Krieg schicken wolle. "Dieses Buch ist bestürzend, erschütternd, nicht auszuhalten, wie konnte man die Zeit geistig-seelisch verarbeiten?", fragte sich der Germanist.

Er erkannte, "dass die Auseinandersetzung mit 'In Stahlgewittern' für die politische Kultur in Deutschland von großer Bedeutung" sei. Kiesel begann mit der kritischen Edition des 1920 erschienenen und in insgesamt sieben sehr unterschiedlichen Fassungen - die letzte kam 1978 heraus - vorliegenden Stoffes. Kiesels Werk wird völlig zu Recht als Meilenstein der Jünger-Forschung bewertet.

Wie spannend und ertragreich die Recherche war, das führte der Germanist auf Einladung des Literaturhauses Bonn und in Kooperation mit der Universität Bonn und dem Haus der Geschichte vor. Kiesel schlug einen Bogen von den Kriegstagebüchern Jüngers und ihren teils differenziert und mit literarischem Anspruch, teils telegrammartig, offenbar direkt aus dem Gefecht heraus formulierten Berichten zum ersten Feinschliff im Buch "In Stahlgewittern" von 1920 mit dem Untertitel "Aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers".

In Jüngers Vorwort liest man: "Das war der deutsche Infanterist im Kriege. Gleichviel wofür er kämpfte, sein Kampf war übermenschlich. Die Söhne waren über ihr Volk hinausgewachsen. Mit bitterem Lächeln lasen sie das triviale Zeitungsgewäsch, die ausgelaugten Worte von Helden und Heldentod. Sie wollten nicht diesen Dank, sie wollten Verständnis."

Kiesel spürte den verschiedenen Ausgaben nach, skizzierte den nationalen Schwenk im Jahr 1924 und die Rücknahme arg patriotischer Passagen in der Ausgabe von 1934, wodurch sich Jünger einer Vereinnahmung durch die Nazis - mit denen er, so Kiesel, nicht auf einer Linie lag - entziehen wollte. Nach dem Zweiten Weltkrieg und mit einer neuen Sicht auf den Ersten Weltkrieg setzte bei Jünger eine "humanistische Phase" ein. Kiesel bemerkt hier Jüngers kritischen Blick auf die "Stahlgewitter", die Wahrnehmung "planmäßiger Zerstörung" - und erstmals tauche der Begriff "Trauer" auf.

Ernst Jünger: In Stahlgewittern. Historisch-kritische Ausgabe von Helmuth Kiesel. Klett-Cotta, 2 Bände, 84 Euro. Hörbuch "In Stahlgewittern", gelesen von Tom Schilling, Der Hörverlag, 34,99 Euro

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