Leicht entflammbare Wut Geschichten von Wut und Willkür

Damián Szifróns grimmiger Episodenfilm "Wild Tales" gilt als argentinische Oscar-Hoffnung. Zuerst verlieren sie die Nerven, dann noch viel mehr: ihren Job, die Familie, die Freiheit und vielleicht gar das Leben.

 Jeder dreht mal durch: Die Köchin (Rita Cortese) übernimmt die volle Verantwortung gegenüber der Polizei.

Jeder dreht mal durch: Die Köchin (Rita Cortese) übernimmt die volle Verantwortung gegenüber der Polizei.

Foto: Prokino Filmverleih

Den Helden jener "Wild Tales", mit denen Argentiniens Kino Kurs auf den Auslands-Oscar nimmt, ist eins gemeinsam: leicht entflammbare Wut. Zum Beispiel dem forschen Geschäftsmann Diego, der mit brandneuem Audi auf einsamer Wüstenstraße vom schlingernden Kleinlaster eines Landproleten am Überholen gehindert wird. Irgendwann klappt's dann doch, Guido schickt im Vorbeifahren ein paar deftige Flüche an den Abgehängten. Schade nur, dass wenig später ein platter Hinterreifen den Vorsprung durch Technik aufzehrt und irgendwann der Laster um die Ecke biegt...

Rasch platzt die dünne Zivilisationskruste bei beiden Machos ab. Und erinnerte der Auftakt an Spielbergs "Duell", so waltet nun jene physische Urgewalt, die man etwa von Quentin Tarantino kennt. Allerdings führt bei "Wild Tales" (ab morgen im Kino) Damián Szifrón Regie, der sich hier in sechs unverbundenen Episoden den Frust über ein brachliegendes Science-Fiction-Projekt von der Seele filmte.

Sein dramaturgisches Prinzip ist schlicht und einfach Eskalation, freilich so raffiniert und bildgewaltig variiert, dass man aus dem ungläubigen Staunen nicht herauskommt. Schon eine schwächere Story wie das Rachedrama "Rattengift" fasziniert dank sekundenschnell angeknipster Atmosphäre und einer unverschämten Mischung aus quälender Ungewissheit und äußerster Schonungslosigkeit.

Doch überzeugender funktionieren schillernde Kurzdramen wie "Bombita". Hier verpasst ein Sprengmeister wegen schikanöser Abschleppfirmen den Geburtstag seiner Tochter. Je tiefer er sich in seinen Kohlhaas-Zorn über städtische wie staatliche Willkür hineinsteigert, desto größer werden finanzielle wie familiäre Verluste. Doch wie in fast jeder Geschichte gibt es auch hier einen Moment größtmöglichen Unglücks, den die Opfer seltsamerweise als erlösenden freien Fall empfinden.

Und so grimmig Szifrón seine Figuren ins Verderben treiben kann, so grotesk lässt er sie manchmal wider jede Wahrscheinlichkeit ins Happy End entkommen. Manches erinnert dabei an die aberwitzigen Turbo-Kapriolen von Zeichentrickfilmen - oder an den schrägen Humor von Pedro Almodóvar, der hier unter den Produzenten ist. Oft lacht man dabei hart an oder gar jenseits der Schmerzgrenze, wenn sich der immense Überdruck der Situation in einer absurden Katastrophe entlädt.

Einziger Rohrkrepierer im Story-Sextett ist der Auftakt samt Flugzeug-Absturz im Vorgarten. Die übrigen wilden Geschichten zeichnen ein grimmiges Bild Argentiniens als Land bürgerfeindlicher Bürokratie, brutalisierten Alltags und allgegenwärtiger Korruption. Da lässt sich der Unfalltod einer schwangeren Frau durch ein Reiche-Leute-Söhnchen auch dank des geschmeidigen Staatsanwalts so "regeln", dass schließlich ein Unschuldiger blutet.

Visuell ist diese Parade niederster Instinkte stets auf Hochglanz poliert, wobei die Schlussepisode das brillanteste Wechselbad bietet: Wie hier eine Hochzeit von protziger Pracht in heulendes Elend, vom Walzer in Prügelorgien kippt und vielleicht doch nicht alles verloren ist - das muss man gesehen haben. Rex

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