Giorgos Kanaris geht im Foyer der Bonner Oper auf "Winterreise"

bonn · Von Eis und Schnee, von Reif und kalten Winden, von gefrorenen Tropfen und starren Fingern ist in diesem Werk häufig die Rede: Einen Abend mit Franz Schuberts "Winterreise" könnte man derzeit durchaus als sehr wetterkompatibles Konzert bezeichnen.

Aber natürlich geht es in den hier vertonten Gedichten von Wilhelm Müller weniger um äußere als vielmehr um innere Temperaturen, um die Erstarrung der Gefühle: Ein von der geliebten Frau Verlassener führt ein Tagebuch der Verzweiflung.

Die Texte kreisen um Hoffnungslosigkeit und Todessehnsucht, durchbrochen nur gelegentlich von Nachklängen der Liebe. Schubert nannte seinen Zyklus "einen Kreis schauerlicher Lieder". Die "Winterreise" ist immer eine Herausforderung, der Bariton Giorgos Kanaris stellte sich ihr zusammen mit dem Pianisten Thomas Wise im bestens besetzten Foyer der Bonner Oper.

Kanaris, unter anderem mit dem Preis der Bonner Opernfreunde ausgezeichnet, hat in den Produktionen des Bonner Hauses vor allem mit einer sehr eleganten Stimme auf sich aufmerksam gemacht. Jetzt im Liedfach wirkt er nicht weniger überzeugend: Sein heller Bariton, der hohe Lagen ohne jede Anspannung bewältigt, nimmt vom ersten Takt an für sich ein, in der Tiefe kommt eine schöne Wärme hinzu.

Giorgos Kanaris begegnet der Düsternis der "Winterreise" sehr vorsichtig, mit ruhigem Erzählton und ausgefeilter Legatokunst. Er verzichtet auf Manierismen und Larmoyanz. Seine Interpretation wirkt sensibel, aber nicht sentimental. Von anderen Sängern mag man schärfere Akzentuierungen gewohnt sein - Kanaris bleibt seinem Konzept des Wohlklangs treu. Und das trägt ihn über 24 behutsam ausgeformte Lieder, unter denen das mit gleichsam ruhiger Andacht genommene "Wirtshaus" den vielleicht stärksten Eindruck machte.

Ganz im Einklang mit Kanaris verweigerte sich auch Pianist Thomas Wise bemühter Überdeutlichkeit; er bevorzugte einen eher verhaltenen Ton der Nachdenklichkeit. Das Publikum war begeistert: langer Beifall, aber nach dem Kraftakt der "Winterreise" verständlicherweise keine Zugabe.

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