Götterboten haben kurze Beine

Zehn Meter hoher und fünf Tonnen schwerer "Mercurius" von Markus Lüpertz sorgt vor Post-Tower in Bonn für Irritationen

Götterboten haben kurze Beine
Foto: Franz Fischer

Bonn. Er sei der "Götterbote, der auf der Weltkugel surft", dessen Blick in die weite Welt gehe, dessen Buntheit die der Angehörigen aus 42 Nationen spiegle, die im Post-Tower arbeiten.

Postchef Klaus Zumwinkel scheute weder Mühen noch Vergleiche, den mythologischen Gott Mercurius, Schutzpatron der Kaufleute, imagefördernd an sein global agierendes Unternehmen heranzurücken.

Und auch Ex-Innenminister Otto Schily, der ausdrücklich "Bundeskanzler" Gerhard Schröder begrüßte, nutzte seine ganze rhetorische Potenz, um den göttlichen Atem Merkurs mit Markus Lüpertz' gleichnamiger Bronzeskulptur zu verknüpfen, "ein großes Kunstwerk, ein Meisterwerk", das zum Zeitpunkt der Laudatio noch wie eine Skulptur von Christo verpackt im Regen stand.

"Gute Kunst ist stets Provokation, Hervorrufung von Gefühlen, Tränen, Sehnsüchten, Beunruhigung", meinte Schily. Lüpertz' Mercurius stifte dem Unternehmen Post "eine neue Sichtbarkeit". Schily setzte die Dynamik des Götterboten, das Quecksilbrige des Elements Mercurium sowie die Sonnennähe des Planeten Merkur mit der Post in Beziehung.

"Dieser Merkur wird niemanden gleichgültig lassen", versprach der Laudator. Lüpertz' Merkur verweigerte sich aber zunächst der ordnungsgemäßen Enthüllung. Als der Konzernchef des Bonner Logistikunternehmens den roten "Buzzer" drückte, rührte sich nichts.

Archaische Manpower brachte schließlich doch noch zutage, was sich so gar nicht mit dem zuvor Gesagten in Einklang bringen ließ: Ein leicht pummeliges und hüftsteifes untersetztes Männlein mit fleischigem Gesäß und kurzen Beinen, zwar über zehn Meter hoch und doch irgendwie klein, auf einer blauen Kugel balancierend mit einem geflügelten Hütchen auf dem Kopf, Provokation und Harmlosigkeit in einem.

Bonn hat jetzt den Bruder von Augsburgs Aphrodite und Salzburgs Mozart - beides skandalumwitterte Geschöpfe des Düsseldorfer Akademierektors Lüpertz - vor dem Post-Tower stehen. Jahns kühler Glas- und Stahlturm, ein Fingerzeig ins dritte Jahrtausend, trifft auf eine eher barock anmutende Bronzefigur aus dem Geist der frühen Moderne, kühne Ratio begegnet physischer Bildhauerkunst aus aufgetürmten Bronzemassen. Über ein Jahr hat Lüpertz daran gearbeitet.

"Bei der Kunst hast du den Finger Gottes im Nacken", hat Lüpertz einmal gesagt. In Augsburg und Salzburg blies dem stets dandyhaft oder im Stil des 19. Jahrhunderts gekleideten Lüpertz - der voll zu seiner Eitelkeit steht, sie geradezu zelebriert - erst einmal die kalte öffentliche Meinung ins Gesicht.

Sein Salzburger Mozart wurde gar von einem aufgebrachten Bürger geteert und gefedert. Lüpertz wetterte dann über "allgemeine Verblödung": "Die Salzburger haben die Skulptur nicht verdient." Walter Smerling, der den dicklich-naiven Mozart von Lüpertz nach Salzburg holte, den Künstler unlängst für den WDR in einem TV-Porträt gewissermaßen heilig sprach und im vergangenen Jahr die quirligen Merkur-Entwürfe in der Duisburger Küppersmühle zeigte, war auch am Bonner Mercurius beteiligt.

Den Segen hat der Götterbote auch von Kunstmuseumschef Dieter Ronte, der "seine" Lüpertz-Skulpturen wohl bald abgeben muss: "Krieger" und "Standbein/Spielbein", beide aus besseren Jahren, gehören der Sammlung Ströher. So bleibt den Bonnern der rosagesichtige Post-Bote.

Um möglichen Kritikern den Wind aus den Segeln zu nehmen, führte Schily Merkur auch als "Gott der Diebe" ein - und Lüpertz Bronze als "Zeichen, dass uns manches gestohlen bleiben kann."

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