Ein Wochenende voller musikalischer Highlights Großes Finale beim Jazzfest

Bonn · Michael Wollny, Pablo Held und Aaron Goldberg zeigen in der Bundeskunsthalle und im LVR Landesmuseum ihre Meisterschaft am Piano.

 Meisterhaft: Aaron Goldberg am Klavier.

Meisterhaft: Aaron Goldberg am Klavier.

Foto: Lutz Voigtländer

Niemand in der ausverkauften Bundeskunsthalle konnte sich der musikalischen Energie entziehen, die am Samstagabend beim letzten Doppelkonzert des Jazzfest Bonn 2018 vom Michael Wollny Trio ausging. Gebannt und überwältigt verfolgte man den komplexen musikalischen Strom aus Tönen, Klängen, Melodien, Motiven, Rhythmen, Tempowechseln und Perkussionseffekten. Man wurde den Verdacht nicht los, dass die Tastatur eines normalen Flügels für Pianist Michael Wollny eigentlich zu klein ist. Dass er die Tasten mit doppelter Geschwindigkeit anschlägt – und wieder loslässt –, als es gemeinhin üblich ist. Zwischendurch kamen auch experimentelle Spieltechniken zum Einsatz, und das so souverän und musikalisch sinnfällig, dass es sich absolut organisch einfügte.

Am grandiosen Auftritt hatten Christian Weber am Bass und Eric Schaefer am Schlagzeug ihren gleichberechtigten Anteil. Technisch absolut versiert, sprühend vor Kreativität und traumwandlerisch sicher im Kontakt untereinander, entlockten Weber und Schaefer ihren Instrumenten eine ungeheure Vielfalt an Tönen und Klangfarben.

Das Michael Wollny Trio spielte beim Jazzfest mehrheitlich Stücke der beiden aktuellen Alben „Oslo“ und „Wartburg“. Zum Auftakt, einer Komposition von Scott Walker, ließen sich die Musiker jedoch vom ersten Konzert des Abends „Martin Albrecht – Scriabin Code“ inspirieren, wie Wollny erklärte.

Jazz trifft Klassik: Diese immer wieder reizvolle Kombination hat Martin Albrecht im Scriabin Code nicht nur musikalisch ausgedeutet, sondern auch visualisiert. Im Zen-trum steht der visionäre russische Komponist Alexander Skrjabin (1872-1915). Als Synästhetiker verknüpfte er Töne mit Farben und komponierte für ein speziell zu konstruierendes Farbenklavier. Skrjabins Idee eines Gesamtkunstwerks, das eine Synthese sämtlicher Künste darstellen sollte, greift der Scriabin Code als multimediale Live-Performance auf und beeindruckte dabei vor allem in musikalischer Hinsicht. Die ausdrucksstarken Improvisationen von Martin Albrecht (Klarinetten, Electronics), Daniel Prandl (Klavier), Katharina Gross (Bass), Dirik Schilgen (Schlagzeug) und Reinhard Geller (Visuals) weckten die Neugier auf Skrjabins faszinierende Klangwelt zwischen Romantik und Moderne. Die jeweiligen Originale, darunter Stücke aus den 24 Préludes op.11, interpretierte Pianistin Asil Kiliç mit großer Hingabe und feinem Gespür für Nuancen. Ein inspirierendes Projekt mit einem kleinen Abstrich: Die Live-Visualisierungen der Klänge auf der Leinwand hatten zwar ihren ästhetischen Reiz – im Zusammenwirken mit der ohnehin anspruchsvollen Musik konnte man ihnen jedoch kaum mit der gebührenden Aufmerksamkeit folgen.⋌

Dekonstruierte Musik

Wie viel Dissonanz verträgt der Jazz? Wie viel Strukturlosigkeit, wie viel Dekonstruktion? Und wie viel Freiheit? Sehr viel, wenn es nach Pablo Held geht. Der Kölner Pianist hat bei seinem Auftritt im LVR Landesmuseum im Rahmen des Jazzfests Bonn zusammen mit seinem Quartett genüsslich die üblichen Hörgewohnheiten zertrümmert, jeglichen rhythmischen Rahmen zerlegt und damit auf den ersten Blick ein ziemliches Chaos angerichtet. Und doch schimmerte hinter der scheinbaren Beliebigkeit immer wieder ein Konzept durch, waren Harmonie und Groove wenn schon nicht in Hör- dann doch zumindest in Sichtweite. Was je nach eigenem Kunstverständnis auszureichen vermag. Vielleicht fordert eine aus den Fugen geratene Welt Musik wie die von Pablo Held, eine, in der das Kollektiv zunehmend durch Einzelkämpfer ersetzt wird, die zwar alle das gleiche Ziel verfolgen, aber dabei ihren eigenen Weg gehen.

Immerhin konnten und wollten sich selbst Held und Konsorten beim Jazzfest nicht vollständig dem üblichen Hörgenuss verweigern: Zwischen tonlos gepusteten Trompeten-Soli, wilden Diskursen zwischen Klavier und Hammond-Orgel und alles überdeckenden Schlagzeug-Patterns kam das Quartett immer wieder zusammen, bemühte sich um eine einheitliche Form in der Tonsprache des Modern Jazz und setzte so unter anderem das Titelthema von „Pippi Langstrumpf“ überaus charmant um.

Dabei kann man auch einen anderen Ansatz im Jazz wählen, wie Aaron Goldberg mit seinem Trio im zweiten Teil des Abends zeigte. Einen, der weitaus stringenter war, weitaus klarer und dennoch geprägt von Freiheit, Mut und technischer Brillanz. Das Zusammenspiel war perfekt, der Groove omnipräsent, die Soli ein Genuss, der gerade dadurch entstand, dass diese Improvisationen und Variationen immer dem Stück dienten – und nicht das Stück den Künstlern. Die Leichtigkeit, mit der Goldberg über die Tasten flog, sucht ihresgleichen, egal ob beim haitianischen „Yoyo“, einer im Traum geschriebenen Swingnummer oder einem Song aus Brasilien. Herausragend auch Drummer Leon Parker, der sein reduziertes Schlagzeug mit vollem Körpereinsatz bespielte und sich auch als exzellenter Body- und Vocal-Perkussionist erwies. Einfach meisterhaft.

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