Reisende im kreativen Kosmos Haegue Yang im Museum Ludwig

Eine Kölner Retrospektive für die Wolfgang-Hahn-Preisträgerin Haegue Yang im Museum Ludwig Köln überzeugt mit stilistischer Vielfalt. Rund 120 Werke sind zu sehen.

 Yangs „Woven Mineral Mountain – Trustworthy #352“ (2018). FOTO: DPA

Yangs „Woven Mineral Mountain – Trustworthy #352“ (2018). FOTO: DPA

Foto: dpa

So hat uns der zwölf Meter hohe DC-Saal im Museum Ludwig noch nie überwältigt: Vorn erhebt sich ein schwebendes Gebirge aus roten Jalousien, graziös gestaffelt, abweisend und einladend zugleich. Lichtkegel tasten die Lamellen ab und wirken wie magischer Mondschein – oder unheimliche Suchscheinwerfer.

Dass Haegue Yang mit diesen monumentalen „Mountains of Encounter“ auf eine Begegnung des koreanischen Freiheitskämpfers Kim San mit der US-Journalistin Nym Wales im Jahr 1937 anspielt, verrät das Ausstellungsbegleitheft. Nun kann das Museum Ludwig diese Lieblingsarbeit seines Direktors dank der generösen Gesellschaft für moderne Kunst am Haus ankaufen. Im Gegenzug richten Yilmaz Dziewior und Projektleiterin Leonie Radine der aktuellen Wolfgang-Hahn-Preisträgerin (Verleihung am Dienstag) eine überwältigende Retrospektive aus, die das Werk der 1971 in Seoul geborenen Weltbürgerin erstmals überhaupt in allen Facetten aufblättert.

Der auf den ersten Blick kryptische Titel „ETA“ meint „Estimated Time of Arrival“, also die geschätzte Ankunftszeit. „Je mehr ich reise, desto demütiger werde ich“, sagte die Künstlerin am Montag. Gemischte Gefühle zwischen Heimatlosigkeit und Aufbruchstimmung verströmt schon das Entree: Man erlebt eine sanfte Ventilatorbrise, spürt kalten Hauch und Infrarothitze, riecht exotische Gewürze und sieht in einem intimen Kino Yangs Videoimpressionen aus drei Erdteilen.

Diese unmittelbare Sinnlichkeit paart sich auf dem Parcours freilich mit messerscharfem Konzeptdenken. So wenn der zweite Blickfang im DC-Saal eine Skulptur von Sol LeWitt in streng gestaffelten Jalousienkäfigen sowohl vom Boden aufsteigen wie von der Decke hängen lässt. Auch ihr zentrales „Storage Piece“ wird präsentiert: Für eine Londoner Schau stapelte die damals klamme Kreative einfach ihre verpackten Arbeiten auf Europaletten und verkaufte diese radikale Installation ein Jahr später.

Insgesamt laden die rund 120 Exponate von 1994 bis 2018 zur Reise durch einen künstlerischen Kosmos ein. Das bewusst reduzierte Frühwerk spiegelt noch Einflüsse ihres Lehrers Georg Herold an der Frankfurter Städelschule, wo die Schülerin heute selbst lehrt.

Infusionsständer mit Lametta

Das fantasievolle Spiel mit „armen“ Materialien beherrscht Yang virtuos: Wenn sie Infusionsständer mit blinkenden Leuchten, Lametta, Schmuck oder Fischernetzen behängt, mutieren die toten Dinge zu menschlichen Figuren. Besonders skurril bei den „Medicine Men“, die Schamanen, Höhlenmenschen oder perückenbehängte Gestalten von karnevalistischer Heiterkeit sein können. Wie hartnäckig die Südkoreanerin ihre Ideen verfolgt und vertieft, zeigen die „Trustworthies“. Hier kehrt sie das Innenfutter von Sicherheitskuverts nach außen und collagiert das filigrane Linien- und Wellengewimmel zu reizvollen Bildern. Die füllen in Verbindung mit Vinyl-Ornamenten ganze Wände. Dass man Volkskunst zitieren und zugleich zu neuen Ufern führen kann, zeigen ihre Totemfiguren aus geflochtenem Stroh, während die Stahlpummelchen der Serie „Sonic Dance“ aus Hunderten von Glöckchen bestehen.

Oft testet die Multikünstlerin dialektische Paare aus: Tradition und Moderne mit ihren Lackmalereien, in denen Rosmarin und Sesamblätter eingesargt sind. Oder Kälte und Wärme: Da werden Konservenbüchsen (Peperoni, Artischockenherzen etc.) liebevoll umhäkelt und so zu Kleinskulpturen veredelt.

Und dass selbst Baumarktkataloge ästhetisches Potenzial haben, beweisen Saunamodelle auf französischem Marmorpapier. Dazu hintersinnige Videoarbeiten, die Möbelleihgaben der Kölner V.I.P.s von Henriette Reker bis Lukas Podolski, grob gerasterte Schwarz-Weiß-Fotos von urbanen Minikatastrophen und vieles, vieles mehr.

Auf 1500 Quadratmetern lässt es sich kaum weiter und schon gar nicht anregender reisen als in dieser famosen Schau. Was man gleichwohl alles verpasst, zeigt der Katalog (im Museum 48 Euro) als Werkverzeichnis mit 1444 Arbeiten.

18. April bis 12. August, Di-So 10-18, jeden 1. Do bis 22 Uhr. Heinrich-Böll-Platz. www.museum-ludwig.de

Meistgelesen
Neueste Artikel
Die Stunde der Sieger
Abschluss Deutscher Musikwettbewerb in Bonn Die Stunde der Sieger
Zum Thema
Aus dem Ressort
Saison 2018/2019