Premiere in Köln Hamlet spielt um sein Leben

Köln · Peter Miklusz glänzt als Shakespeares Titelheld in Kölns Saisonstart. Hausherr Stefan Bachmann schnürt das Shakespeare-Stück im Depot 1 in keins der üblichen Regiekorsetts, sondern lässt es verblüffend frei atmen.

 Liebe mit Fliehkräften: Ophelia (Lou Zöllkau) und Hamlet (Peter Miklusz) in Stefan Bachmanns Regie am Kölner Schauspiel.

Liebe mit Fliehkräften: Ophelia (Lou Zöllkau) und Hamlet (Peter Miklusz) in Stefan Bachmanns Regie am Kölner Schauspiel.

Foto: David Baltzer

Vergrübelter Weltfremdling, traumatisierter Melancholiker oder letztlich doch effektiver Rächer wider Willen – Hamlet kann vieles sein. Georg Hensel nannte ihn „das Lieblingsspiegelkind des deutschen Intellektuellen“. Bei Peter Miklusz aber, der mit dieser legendären Rolle sein starkes Kölner Ensembledebüt gibt, ist der Dänenprinz vor allem ein quecksilbrig lebendiger Charakter, für sich selbst so unberechenbar wie für die Intriganten bei Hofe. Passend dazu schnürt Hausherr Stefan Bachmann das Shakespeare-Stück im Depot 1 in keins der üblichen Regiekorsetts, sondern lässt es verblüffend frei atmen.

Der Intendant vertraut dabei (wie schon bei Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“) einem rigiden Reinheitsgebot. Olaf Altmanns Bühne ist ein vom schweren Vorhang begrenztes Halbrund, unmöbliert und ohne jedes Requisit. Die giftigen Becher der Verschwörer muss man sich denken. Für die offensichtlichen Schauwerte sind allein die angeschrillten Kostüme (Birgit Bungum) und die melodramatischen Frisuren zuständig.

Das klingt nach szenischer Ödnis, die sich indes nie einstellt. Dafür sorgt schon die hölzerne Drehbühne, auf der die Figuren hineinfahren, gegen die Laufrichtung auf der Stelle treten oder als Leichen hinausbefördert werden. Diese Minimalrotation erzeugt einen seltsamen Sog, und die relative Langsamkeit lässt Sprache und Dramaturgie in kristalliner Klarheit funkeln.

Es braucht gar nicht erst den Geist seines ermordeten Vaters (Jörg Ratjen), um Hamlets Skepsis zu wecken: Schon in der ersten Szene lauscht er mit gefrorenem Lächeln der „Trauer“ seines meuchlerischen Onkels Claudius und seiner ehebrecherischen Mutter Gertrud. Und was hier deutlicher wird als in vielen Inszenierungen: Die einzige Chance, Mord und Thronraub zu sühnen, ist für den Prinzen das Spiel.

Schon den eigenen Wahn probiert Hamlet bei Miklusz gewissermaßen als zweite Möglichkeit seiner selbst aus. Und geradezu euphorisch begrüßt er die Ankunft der Schauspieltruppe, die ihn zum Rache-Regisseur macht.

Jene Szene, in der Gertrud und Claudius ihren Frevel vorgespiegelt bekommen, ist das Glanzstück des Abends: Die realen Figuren werden raffiniert verdoppelt, so dass Schein und Sein irritierend verschmelzen. Da begreift man Shakespeares Stück als Allegorie auf die Kraft des Theaters – und auf die Fadenscheinigkeit der menschlichen Existenz.

Nicht alles glückt so bezwingend: Bruno Cathomas verströmt als Claudius eine angeschwult-affektierte Dekadenz, hat allerdings als pseudo-reuiger Sünder ein virtuoses Solo. Die hysterische Wahnsinnsarie der kindlichen Ophelia (Lou Zöllkau) nach der Pause wirkt ebenso entbehrlich wie die Hundenummer ihres Bruders Laertes (Simon Kirsch).

Doch wie beider Vater Polonius (schneidend brillant: Wolfgang Pregler) beiläufig vor dem Vorhang erdolcht wird, hinter dem Hamlet und Gertrud (Marie-Lou Sellem) streiten, ist szenisch frappierend.

Überhaupt recken sich immer wieder Hände oder Köpfe aus dem schweren Stoff, und die vermeintlichen Stoffballen am Grab der ertrunkenen Ophelia entpuppen sich als gespenstisch auseinander stiebende Totenarmee. Da erzeugt Bachmann bildstark jene klamme Unheimlichkeit, die den Auftritten des Geists von Hamlets Vater sowie den slapstickhaften Sterbeszenen fehlte.

Zum packendsten Moment wird das atemberaubend choreografierte Duell von Hamlet und Laertes: ein Kampf mit imaginären Degen, deren Klirren und metallisches Schleifen sich in die Hirnrinde fräst. Das Spiel wird todernst, die Drehbühne zur Schlachtplatte. Der Rest ist Schweigen – und berechtigt starker Beifall, insbesondere für Peter Miklusz' Debüt.

Drei Stunden mit Pause. Nächste Termine: 2. 10., 16 Uhr, 4. u. 7. 10., 19.30 Uhr, 9. 10., 18 Uhr. Depot 1, Karten-Tel.: (0221) 221 28400.

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