Museum Ludwig in Köln Heimspiel mit höheren Mächten

KÖLN · Mit einer gewaltigen Bugwelle kommt die Retrospektive des 2010 in Köln gestorbenen Sigmar Polke über New York (MoMA) und London (Tate Modern) ins Kölner Museum Ludwig, zum Heimspiel ins Rheinland. "Die drei Lügen der Malerei" hieß die letzte große Retrospektive, 1997 in der Bundeskunsthalle.

 Bei Polke muss man genau hinschauen: "Moderne Kunst" (links) und "Konstruktivistisch", beide aus dem Jahr 1968.

Bei Polke muss man genau hinschauen: "Moderne Kunst" (links) und "Konstruktivistisch", beide aus dem Jahr 1968.

Foto: Meisenberg

"Alibis" ist nun der Titel der ersten posthumen Polke- Schau: Geschuldet ist er der US-amerikanischen Perspektive der Kuratorin Kathy Halbreich auf den politischen Polke, der in seiner Frühzeit im Zuge der Beschäftigung mit der NS-Zeit nach den Alibis der Vätergeneration fragte. In der rheinischen Station, die den politischen Polke großteils gegen den kölschen eintauscht, hängt "Alibis" etwas in der Luft. Polke in Übersee wurde als Geschenk an New York gefeiert, die beste MoMA-Schau in Jahrzehnten, besser noch als die Schau von "Polke's friend and rival Gerhard Richter" (2002), wie der Guardian urteilte. Die New York Times lobte - im Unterschied zu Richter und Kiefer - das Rätselhafte an Polke. Er sei wie ein faszinierendes Puzzle.

Es spricht nichts dagegen, dass auch die dritte Folge dieser von Station zu Station stark veränderten Retrospektive ein Erfolg wird. Kölns Kuratorin Barbara Engelbach ist bei der 1,5 Millionen Euro teuren Schau den Mittelweg zwischen der "medialen Kakophonie" (Ludwig-Chef Yilmaz Dziewior) im MoMA und der "auratischen Malerei" in der Tate gegangen. Engelbach stärkt die rheinische Komponente, den Genius loci beschwört das riesige Transparentbild "Fensterfront" gleich im Entree der Schau, eine Schenkung von Irene Ludwig an das Museum. Streng chronologisch führt die Ausstellung den Besucher von den Anfängen des von den Freunden Polke, Richter, Konrad Lueg und Manfred Kuttner geprägten kargen "Kapitalistischen Realismus" bis in die opulenten Bilderwelten der 80er Jahre und ins Spätwerk.

"Darf man Kinder auslachen?", steht unter einer Zeichnung, "Die Erscheinung des Hakenkreuzes" ist ein anderes Werk betitelt, und den Meister gibt es auch als Rauschmittel: "Polke als Droge" steht unter der Zeichnung einer Pillendose. Polkes Pop-Art hebt die Wirtschaftswunder-Güter wie Würstchen, Socken, Hemden und Plastikwannen ins Bild, die Punktraster sind akkurat gepinselt, die Motive stammen aus dem Sehnsuchtskatalog der Adenauerzeit: Wochenendhaus und Badefreuden im Urlaubsparadies. So belanglos, so vordergründig witzig das anmuten mag, sosehr ist hier mit Polke ein Skeptiker am Werk, der mit Scharfsinn, Ironie und vorgeblichem Nonsense die Medien- und Bilderflut analysiert, dreht und wendet, nach versteckten Botschaften und verdrängten Wahrheiten abklopft.

Auch die Kunst seiner Zeit oder die von den Nazis verfemte Moderne werden von Polke kommentiert. Persiflage oder verkappte Hommage? Man weiß es nie so richtig in Werken wie "Negerplastik" von 1968 aus dem Kunstmuseum Bonn, eine Kombination aus afrikanischer Skulptur, dem mit Bambis, (rauchenden!) Häschen und Bärchen bedruckten Stoff und einer affektiert hingeworfenen Abstraktion. Der Mythos vom viel beschworenen Künstler-Über-Ich bekommt mit "Höhere Wesen befehlen: rechte obere Ecke schwarz malen!" den passenden Polke-Kommentar. Diese höheren Wesen lassen ihn Flamingos und Zimmerpalmen malen, später entsteht der wunderbare Zyklus "Wir Kleinbürger!" mit einem quirligen Personal aus dem Comic. Mitte der 70er ist die Reihe entstanden, eine große malerische und narrativ überbordende Geste, nicht zu vergleichen mit dem, was vorher war.

1972 war Polke zu Freunden nach Wittlich gezogen: Die extrem wilde, abgedrehte Kollektivphase mit Pornos und Pilzen, Maoköpfen und politischen Filmen füllt in selten so präsentierter Ausführlichkeit den sogenannten D/C-Raum. Kuratorin Engelbach nimmt hier den "filmischen Impuls" wahr, der das malerische Spätwerk prägt.

In vier Akten, einer spannender und von den Exponaten her spektakulärer als der andere, führt uns "Alibis" in den malerischen Kosmos des Alchemisten und Illusionisten Polke, der mit Mythen und Motiven jongliert, virtuos mit Bildebenen spielt, Farben und Inhalte reagieren lässt. Sechs der sieben "Hochsitze" haben aus Pittsburgh, New York, Chicago, Valencia und Stuttgart den Weg nach Köln gefunden: Inhaltsschwanger evozieren die Großformate Szenen von der deutsch-deutschen Grenze oder am KZ-Zaun. Allein, Ausgangspunkt ist ein einfacher Jägersitz im Kölner Umland. Bleibt am Ende die Frage, ob Polke, der die Kölner Museen gerne mied, sein Placet zur Retro im Ludwig gegeben hätte. Halbreich meinte in New York: "Never ever." Nie im Leben.

Ludwig Museum Köln; 14. März bis 5. Juli. Di-So 10-18, Katalog (Prestel) 39,95 Euro. Eröffnung: Freitag, 13. März, 19 Uhr

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