Bonn im Roman Heinrich Böll: "Ansichten eines Clowns"

BONN · So möchte man nicht enden: auf den Stufen des Bonner Bahnhofs, angetrunken und mit kalkig-weiß geschminktem Clownsgesicht, nach Bettlerart einen Hut vor den Füßen, auf der Gitarre klimpernd und singend: "Der arme Papst Johannes, hört nicht die CDU, er ist nicht Müllers Esel, er will nicht Müllers Kuh."

 Allein vor dem eisernen Vorhang: Bernd Braun in der "Clown"-Adaption des Bonner Theaters in der Spielzeit 2013/14.

Allein vor dem eisernen Vorhang: Bernd Braun in der "Clown"-Adaption des Bonner Theaters in der Spielzeit 2013/14.

Foto: Thilo Beu

In Heinrich Bölls 1963 erstmals veröffentlichtem Roman "Ansichten eines Clowns" wirkt die Titelfigur Hans Schnier auf die Menschen wie ein Bettler, sie werfen ihm Geld in seinen Hut. Der Bahnhof Bonn ist im übertragenen Sinne eine Endstation für Schnier. Der Mann ist fertig.

In einem Nachwort für eine neue Ausgabe seines Romans 1985 schrieb Heinrich Böll: "Nachgeborene werden kaum begreifen, wieso solch ein harmloses Buch seinerzeit einen solchen Wirbel hervorrufen konnte. Lernen können sie an diesem Buch, wie rasch in unseren Zeiten ein Roman zum historischen Roman wird."

Die Älteren werden sich vielleicht erinnern, dass Bölls Werk über einen atheistischen, unverheiratet mit einer Frau zusammenlebenden Clown nach seinem Erscheinen 1963 militante Vertreter des Katholizismus gegen sich aufbrachte. "Einer der kirchlich orientierten Kritiker befürchtete 1963, mein Buch könnte in die Hände von Abiturienten geraten", erinnerte Böll sich gut 20 Jahre später.

Die Schüler, denen dieses Schicksal tatsächlich widerfuhr, mussten schon viel Fantasie mobilisieren, um die Aufregung um das Buch anno 1963 nachvollziehen zu können. Heute ist all das nur noch im historischen Zusammenhang, mit einordnenden Anmerkungen zu verstehen.

Der Clown Hans Schnier, wohnhaft in Bonn, ist ein Außenseiter. Der Sohn aus reichem Hause fühlt sich fremd in einer Welt der Heuchelei, des maßlosen Ehrgeizes und steriler Intellektualität. Er reagiert allergisch auf jede Manifestation von Macht, die Zeichen der Unterdrückung des Individuums sind für ihn allgegenwärtig.

"Weißt du, was dir fehlt?", fragt ihn sein Vater, ein rheinischer Braunkohle-Millionär, einmal. "Dir fehlt das, was den Mann zum Manne macht: sich abfinden können." Bölls Clown gehört zu den traurigen Helden der Literatur, deren Ichbezogenheit und Radikalität, Larmoyanz und Lebensunfähigkeit Facetten einer komplexen Persönlichkeit sind.

Schniers Leiden an der Welt findet seine Fortsetzung im persönlichen Erleben. "Ich leide", bekennt er, "nicht nur an Melancholie, Kopfschmerzen, Indolenz und der mystischen Fähigkeit, durchs Telefon Gerüche wahrzunehmen, mein fürchterlichstes Leiden ist die Anlage zur Monogamie; es gibt nur eine Frau, mit der ich alles tun kann, was Männer mit Frauen tun: Marie." Diese Marie hat ihn nach sechs Jahren verlassen, um - ausgerechnet - den einflussreichen Katholiken Züpfner zu heiraten.

Schwächen der Romankonzeption

Ursache für diesen Koalitionswechsel war Schniers Weigerung, seine und Maries zukünftige Kinder im Sinne der katholischen Kirche erziehen zu lassen. Der alleingelassene Clown ist unfähig zu arbeiten, krank und ohne Geld lässt er sich hängen und gibt sich schließlich auf. Am Ende sitzt er auf den Stufen des Bonner Bahnhofs: "Ich erschrak, als die erste Münze in meinen Hut fiel."

Die Aufnahme des Romans 1963 war zwiespältig. Der Kritiker Marcel Reich-Ranicki machte auf die Schwächen der Romankonzeption aufmerksam, die einen Helden einführt, der früher einmal evangelisch war und Atheist wurde. Woraus soll dessen Aversion gegen das katholische Milieu erwachsen?

Allzu deutlich wurde, dass aus dem Munde Schniers vor allem der Schriftsteller Heinrich Böll sprach. Er arbeitete sich am katholischen Klüngel im Rheinland ab und entdeckte natürlich noch Spuren des Nationalsozialismus in der ökonomisch aufstrebenden Bundesrepublik und ihrem politischen Zentrum Bonn.

Dennoch lohnt die Lektüre des Romans auch heute noch, denn es gibt fabelhafte satirische Momentaufnahmen sowie gelungene Genreszenen. Und Böll nimmt sich eines der großen Themen der Literatur an. Das war auch dem Rezensenten Reich-Ranicki nicht entgangen: "Das Buch des Missmuts ist zugleich ein Buch der Liebe."

Es gelinge dem Autor, gänzlich unabhängig von der konfessionellen Problematik, "mit ungewöhnlicher Intensität eine leise, eine unpathetische, eine häusliche Liebe zu vergegenwärtigen. Er zeigt, was so selten gezeigt wird: den Alltag der Liebe." Der Menschen-Darsteller Böll übertraf den Gesellschaftskritiker Böll.

Böll (1917-1985) kannte Bonn, wo er nach dem Abitur eine Buchhändlerlehre begonnen hatte. Im "Clown" werden neben dem Bahnhof das Münster, die Dächer des ehemaligen kurfürstlichen Schlosses, das Beethovendenkmal, der kleine Markt und der Hofgarten erwähnt. Berühmt ist eine Romanpassage über zwanghafte Häme gegen die Stadt.

Vojtech Jasný verfilmte den Roman

"Es ist mir immer unverständlich gewesen, warum jedermann, der für intelligent gehalten werden möchte, sich bemüht, diesen Pflichthass auf Bonn auszudrücken. Bonn hat immer gewisse Reize gehabt, schläfrige Reize, so wie es Frauen gibt, von denen ich mir vorstellen kann, dass ihre Schläfrigkeit Reize hat", heißt es einmal.

"Ansichten eines Clowns" wurde von Vojtech Jasný verfilmt. Das Werk mit Helmut Griem und Hanna Schygulla erschien schon bei der Kinopremiere 1976 merkwürdig leblos, und es ist nicht gut gealtert. In den Kammerspielen Bad Godesberg brachte die Regisseurin Alice Buddeberg im Januar 2014 den Roman als Ein-Personen-Stück heraus.

"Buddeberg gelingt es lange 75 Minuten in den Kammerspielen nicht, plausibel zu machen, warum dieser Stoff exhumiert und dramatisiert gehört", urteilte GA-Kritiker Thomas Kliemann. "Ein zähes Drama." Daran habe auch der Einsatz des großartigen Bernd Braun in der Titelrolle nichts ändern können.

Bölls Roman, der wie gesagt immer noch etwas zu bieten hat, erinnert doch vor allem an einen älteren Zeitgenossen, der von einer Vergangenheit erzählt, die für ihn ungemein lebendig, für die Jüngeren aber unendlich weit entfernt scheint. Nur eines ist geblieben: der Bonner Bahnhof und seine Umgebung als Biotop für Menschen, deren Leben in eine Schieflage geraten ist.

Heinrich Böll: Ansichten eines Clowns. dtv, 288 S., 8,90 Euro.

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