Kölner Premiere Hilsdorfs großartiger "Eugen Onegin" in der Oper am Dom

Der Himmel lasse für das Glück Gewöhnung als Ersatz zurück, bilanziert die Amme Filipjewna zu Beginn von Peter Tschaikowskys Oper "Eugen Onegin" nüchtern in einem wehmütig-nostalgischen Gespräch mit der verwitwete Larina, der Mutter jener beiden Mädchen, die sie mit großziehen half. Für eine von ihnen, Tatjana, ist das freilich keine schöne Perspektive.

 Sie werden kein Paar: Szene mit Olesya Golovneva als Tajana und Andrei Bondarenko als Onegin.

Sie werden kein Paar: Szene mit Olesya Golovneva als Tajana und Andrei Bondarenko als Onegin.

Foto: Paul Leclaire

Die noch blutjunge Frau will ein bisschen mehr vom Leben, will der ländlichen Enge, in der ihre Mutter Larina über viele Jahre gefangen blieb, entkommen. Tschaikowskys "Onegin", der am Sonntagabend als erste Premiere der neuen Kölner Spielzeit über die Bühne der Oper am Dom ging, erzählt von Sehnsüchten und Lebensentwürfen, von sehr menschlichen Dingen also, für die Regisseur Dietrich W. Hilsdorf schon immer ein großes Herz hatte.

Auf den ersten Blick mag seine Inszenierung vielleicht ein bisschen konventionell wirken. Aber das täuscht. Für Hilsdorfs Ambitionen liefern die Ausstatter eine perfekte Umgebung, die nicht ablenkt, sondern den Blick aufs Wesentliche freigibt. Bühnenbildner Dieter Richter hat wieder einmal einen großzügigen bürgerlichen Salon entworfen, der sich durch einen genialen Kniff in einen großen Ballsaal erweitern lässt, den Hilsdorf für wunderbar choreografierte Massenszenen nutzt. Man trägt hier eine Mode (Renate Schmitzer), die unaufdringlich den Einfluss des 20. Jahrhunderts zeigt.

Oft sind es scheinbar Kleinigkeiten, mit denen Hilsdorf die Figuren charakterisiert. Wenn der dandyhafte Weltmann Onegin den Salon durchs Fenster und nicht durch die Tür betritt, macht das einen ziemlich selbstsicheren Eindruck. Dass die Gefühle der jungen Tatjana beim Anblick dieses Mannes gleich in Unordnung geraten, ist nachvollziehbar.

Tatjana wird aber auch zur Gewährsfrau dafür, dass Hilsdorf mit fast schon puristischen Mitteln eine größtmögliche Wirkung zu erzielen in der Lage ist. In der langen Briefszene, in der Tatjana allein auf der Bühne ihre Gefühle für Onegin formuliert, erleben wir den Selbstfindungsprozess eines jungen Mädchens, das am Ende eine erwachsene Frau ist.

Die großartige russische Sopranistin Olesya Golovneva singt diese Schlüsselszene nicht nur mit ergreifender Intensität, sie gibt auch ein beeindruckendes Beispiel für die Schauspielkunst, die den gesamten Abend prägt: Wer Menschen auf der Bühne zeigen will, braucht eben exzellente Schauspieler. Der Regisseur bleibt nah am Libretto, das der Komponist selbst gemeinsam mit Konstantin Schilowskij aus Alexander Puschkins Versroman destillierte. Aber er klebt nicht daran.

In der Duellszene schießt Onegin seinen früheren Freund Lenskij, der sich schon zum Gehen gewandt hatte, mit dessen Waffe in den Rücken. Nicht aus Hass, es wirkt vielmehr wie der ebenso verzweifelte wie vergebliche Versuch einer emotionalen Selbstbefreiung. Dass mit dem tödlichen Schuss auch das Herz Filipjewnas aufhört zu schlagen, ist eine der Geschichten, die Hilsdorf mit bewundernswerter Beiläufigkeit auch noch erzählt.

Musikalisch überzeugt der Kölner "Onegin" nicht weniger. In der Titelrolle gewinnt Andrei Bondarenko mit klar konturierter Baritonstimme, Matthias Klink singt die große Arie des Lenskij mit schönen lyrischen Farben. Ariana Bastidas Gamboas sinnlicher Mezzo unterstreicht die Rolle der beim Ball in verführerischem Rot gekleideten Olga als Auslöserin des tödlichen Duells. Dalia Schaechter (Larina) und Anna Maria Dur (Filipjewna) füllen ihre Rollen ebenso eindrucksvoll aus wie der große Bassist Robert Holl als Tatjanas späterer Gatte Gremin. Vokale Klasse zeigt auch der szenisch wunderbar eingebundene Chor, den Andrew Ollivant einstudiert hat.

Aus dem Orchestergraben dringt dank der einfühlsamen musikalischen Leitung von Marc Piollet fast drei Stunden lang purer Wohlklang. Vor allem die stark geforderten Holzbläser machen begreiflich, warum Tschaikowsky seine Oper im Untertitel als "Lyrische Szenen" charakterisierte. Großer Beifall für alle Beteiligten.

Weitere Termine: 23., 25., 27. und 30. Oktober sowie am 1. und 3. November. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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