Buchtipp: "Gott der Barbaren" Himmlischer Krieg gegen Teufel und Dämonen

BONN · Stephan Thomes gewaltiger und gewaltvoller Roman „Gott der Barbaren“ orientiert sich am Taiping-Aufstand in China. Am Freitag liest der Autor in Bonn.

Ein Brief wie ein Manifest: Er sei der „leibhaftige Sohn Gottes und jüngere Bruder von Jesus Christus“, schreibt der Rebell Hong Xiuquan, der sich selbst „Himmlischer König“ nennt und im chinesischen Nanking einen Gottesstaat installiert hat. Hong ernennt sich zum „Herrscher über die zehntausend Nationen“, der von Gott beauftragt sei, alle Menschen von der Versklavung durch Teufel und Dämonen zu befreien. Das Reich des „Himmlischen Königs“, der alle anderen Völker Barbaren nennt, fußt auf den Zehn Geboten und der Vernichtung der Ungläubigen, auf dem Verbot von Opium und Alkohol, Trunkenheit und unzüchtigen Verhaltens. Die Strafe: Enthauptung, das sei Gottes Wille.

Diesen fundamentalistischen Gottesstaat, den Stephan Thome in seinem üppigen, überbordenden Historienroman „Gott der Barbaren“ beschreibt, hat es in China Mitte des 19. Jahrhunderts wirklich gegeben. Sehr zum Verdruss des Kaisers von China und der blasierten Ordnungsmacht England, die James Bruce, den achten Earl of Elgin, Sohn des berühmt-berüchtigten Lord Elgin, der einst Figuren aus dem Parthenon-Tempel von Athen nach London entführte, ins Reich des chinesischen Kaisers schickt. Er war Sonderbotschafter der britischen Krone im zweiten Opiumkrieg. Mit tiefer Verachtung und völlig undiplomatisch geht er gegen die chinesischen Barbaren vor – schön, dass Hong Xiuquan selbst die Engländer wiederum als Barbaren betitelt.

Spielregeln der Diplomatie

Mit erfrischender politischer Unkorrektheit lässt Thome die Kulturen aufeinanderprallen. Man verachtet sich, traut einander nicht, sucht stets den eigenen Vorteil – die Spielregeln der internationalen Diplomatie und Politik haben sich seit dem 19. Jahrhundert nicht geändert. Der Taiping-Aufstand, den der in Taipeh lebende Sinologe Thome mit blumiger Retro-Sprache und in fantastischen Bildern beschreibt, wütete 1851 bis 1864 als blutige Konfrontation zwischen dem Kaiserreich China und der Bewegung um den Mystiker Hong Xiuquan. Bis zu 30 Millionen Menschen, schätzen Historiker, sollen in diesem opferreichsten Bürgerkrieg der Menschheitsgeschichte ihr Leben gelassen haben. Thome führt den durch die Fülle von historischen Details, durch Perspektivwechsel, etliche Raum- und Zeitsprünge reichlich verunsicherten Leser mithilfe von vier Hauptfiguren durch den 700-Seiten-Roman.

Wir lernen den Missionar Philipp Neukamp (Fei Lipu genannt) kennen, deutscher Revolutionär von 1845, der, in der Heimat mehr oder weniger gescheitert, in China sein Glück sucht und sich mit dem finsteren amerikanischen Abenteurer Alonzo Potter auf nach Nanking in die Kapitale der Rebellion macht. Zweite Leitfigur ist das Mädchen Huang Shuhua, das obdachlos geworden ist und in Nanking seine Familie wiederfinden will. Näher lernt man auch den so kultivierten wie rücksichtslosen Lord Elgin in einer brillanten Studie kennen und Zeng Goufang, den Oberbefehlshaber eines Söldnerheeres, der Hunan-Armee, die schließlich die Rebellen besiegte.

Starke Bilder prägen den Roman

Thomes Roman zerfällt in viele einzelne, wunderbar und meist spannend erzählte Facetten, die akkurat recherchiert und imaginiert ins China des 19. Jahrhunderts entführen, ohne jedoch eine stringente Handlung wirklich erkennen zu lassen. Es sind sehr starke Bilder, die diesen gewaltvollen und gewaltigen Roman prägen: Etwa die bedrohliche Fahrt des Missionars Neukamp mit dem finsteren Potter auf dem Gajiang-Fluss durch die ärmliche Provinz Jiangxi, die Thome ebenso minuziös beschreibt wie die traumatische Situation, in der der Gottesmann den linken Unterarm verliert. Die Fahrt führt durch die Bürgerkriegsfront, überall lauern Gefahren im gespenstischen Nebel – eine Stimmung, wie wir sie vom Nung River kennen, auf dem Captain Willard (Martin Sheen) mit seinem Patrouillenboot im Film „Apocalypse Now“ durch Feindesland Richtung Kambodscha schippert. Ein eindrucksvoller Stein in diesem historischen Puzzle.

Mit einer AFP-Meldung von 2012 schließt der Roman: Es geht um den Kampf der chinesischen Regierung gegen „üble Kulte“, die Sekte „Allmächtiger Gott“ in der westchinesischen Provinz Qinghai und um 400 Festnahmen. Die Meldung zieht Parallelen zu weiteren Aufständen, zum Beispiel der Taiping-Rebellion.

Das Buch war auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises – den Inger-Maria Mahlkes Familienroman „Archipel“ gewann.

Stephan Thome:Gott der Barbaren. Suhrkamp, 719 S., 25 Euro.
Lesung: Thome liest am Freitag, 26. Oktober, 19.30 Uhr, auf Einladung der Buchhandlung Goethe & Hafis in der Bonner Emmaus-Kirche, Borsigallee 23-25.

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