Lesung im Haus der Geschichte Horror in der Kleinstadt

BONN · Meine Helden gehen ins Ungewisse und müssen erfahren, dass es viel schlimmer kommt", sagt Stewart O'Nan auf dem Podium im Bonner Haus der Geschichte. Als Horror-Autor geht dieser smarte, sympathische Mann aus Pittsburgh, Pennsylvania, gewiss nicht durch. Und doch ist Stewart O'Nan einer, gibt es auch zu.

 Moderator David Eisermann.

Moderator David Eisermann.

Foto: Horst Müller

Er kommt zwar ohne bluttriefende Kettensägen und Massaker aus, beherrscht aber, Bedrohliches und Schreckliches dort aufzutun, wo es niemand vermutet: mitten in der Provinz, im Herz des American Way of Life, im Schoß der Familie, in der Idylle einer vermeintlich kleinen, überschaubaren Welt. Der alltägliche Horror manifestiert sich in einem plötzlichen Schuss in der Abenddämmerung, einem ermordeten Babysitter und Spuren im Schnee.

Er zeigt sich in den Ängsten eines Jungen, der irgendwann bemerkt, wie es in der Ehe seiner Eltern kriselt, die Ahnung allmählich zur Gewissheit wird, die Familie zerbricht, das Fundament seiner Kindheit. O'Nan ist auch ein Meister darin, das Verschwinden eines Mädchens in einem Provinznest über die rein kriminalistische Spurensuche hinaus zu einem Prozess zu entwickeln, der die ganze Gesellschaft erfasst.

Wobei sich finstere Abgründe auftun: So sieht es aus in "Stewart O'Nans Amerika", wie das Haus der Geschichte einen Abend mit dem Autor überschrieb. Der 52-Jährige war nach Deutschland gekommen, um an einer Tagung über Provinzialität im amerikanischen Roman teilzunehmen, er unterhielt sich mit Bonner Studenten und kam dann auf Einladung des Instituts für Amerikanistik der Universität und des Literaturhauses Bonn - passend zur herausragenden Ausstellung "The American Way. Die USA in Deutschland" - zur Lesung ins Haus der Geschichte. Wo er das Thema der Tagung wieder aufnahm und den Charme der Provinz besang: "Ich finde, dass New York oder Los Angeles nicht so geheimnisvoll sind."

Der Abend mit O'Nan war Retrospektive und Werkstattbericht in einem, bot eine Auswahl von Texten - wunderbar klar und unpathetisch rezitiert und gestaltet von der Schauspielerin Fritzi Haberlandt - und Kommentare. Dafür war der Rundfunkjournalist David Eisermann zuständig, der auch Vorsitzender des Vereins Literaturhaus Bonn ist. Eisermann plauderte sich anekdotenreich durch den Abend.

Etwas mehr Fakten zu Autor und Werk und etwas weniger Selbstverliebtheit des Moderators hätten dem Autorenporträt O'Nan gutgetan. Immerhin brachte Eisermann den Schriftsteller dazu, sein Verhältnis zum Horror-Genre im Allgemeinen zu klären und über seine Beziehung zu dem Horror-Spezialisten Stephen King, den Eisermann als "Charles Dickens unserer Tage" bezeichnete, zu reden. O'Nan und King sind befreundet, haben schon gemeinsame Werke verfasst: 2012 erschien in den USA "A Face in the Crowd", Jahre zuvor hatten beide ein Buch über Baseball geschrieben, "Faithful", ein Werk über den Club der Red Sox. King sei es gelungen, das Vampir-Genre von Transsylvanien in die amerikanische Kleinstadt zu bringen. "Wir haben die gleichen Wurzeln: Halloween".

Für die Unterschiede zu Kings Werk war Fritzi Haberlandt zuständig. Sie las zuerst aus O'Nans erstem Bestseller "Snow Angels" ("Spuren im Schnee"), der einen eiskalten Mord mit dem Scheidungsdrama von Arthurs Eltern in der Kleinstadt Butler in Beziehung setzt. "Songs for the Missing", dessen deutscher Titel "Alle, alle lieben dich" insbesondere den anwesenden O'Nan-Übersetzer Thomas Gunkel stört (der Verlag habe sich durchgesetzt), ist auch ein beklemmendes Drama in der Provinz. Es handelt vom Verschwinden des Mädchens Kim und bestätige, so der Autor, die schlimmsten Ängste von Eltern und Freunden - "und hat nichts Übernatürliches".

O'Nans wunderbares Talent, aus einer Handvoll Beobachtungen mittels Rückblenden und Assoziationen wahre Mikrodramen zu entwickeln, zeigt sich im jüngsten auf Deutsch erschienenen Buch, "Emily, allein", aus dem Haberlandt die Passage las, in der die greise Emily vor dem Besuch der Abstinenzlerin Margaret, ihrer Tochter, sämtliche Alkoholika in den Keller räumen muss (acht Kartons Schnaps kamen da zusammen).

Und wie geht's weiter? O'Nan las selbst mit eigenwilligem Duktus und einer feinen Sprachmelodie aus dem bislang nur auf Englisch vorliegenden Werk "The Odds: A Love Story". Der Plott in Kürze: Ein seit 25 Jahren verheiratetes Paar, arbeitslos, praktisch bankrott, kratzt die letzte Barschaft zusammen und geht ins Casino. Der Deal: Wenn sie gewinnen, bleiben sie zusammen, wenn sie verlieren, trennen sie sich. O'Nan verriet das Ende nicht.

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