Beethovenfest in Bonn Humor am Rande des Abgrunds
Im Rahmen des Beethovenfest-Projekts "Diabelli" gab es im Beethoven-Haus 50 ganz andere "Diabelli-Variationen" komplett zu hören.
Man kennt sie, die "Diabelli-Variationen", unverbrüchlich verbunden mit Ludwig van Beethoven, als dessen Vermächtnis diese "33 Veränderungen über einen Walzer von Anton Diabelli" (op. 120) angesehen werden - zumindest, was Beethovens Oeuvre fürs Klavier anbelangt.
Als jener Diabelli, geschäftstüchtiger Verleger in Wien, 1819 für die Eröffnung seines "Vaterländischen Kunstvereins" ein etwas skurriles Walzer-Thema an etliche namhafte "Tonsetzer und Virtuosen" der Donau-Monarchie mit der Bitte sandte, eine Variation zu komponieren, machten sich 51 der Aufgerufenen ans Werk.
Neben Beethoven, der sich keineswegs an eine Begrenzung halten wollte, unter anderen Carl Cerny, Anselm Hüttenbrenner, Johann Nepomuk Hummel, Conradin Kreutzer, Ignaz Moscheles, Franz Xaver Mozart und Rudolf Erzherzog von Habsburg. Aus der komponierenden "Champions-League" mit dabei waren Franz Schubert und der blutjunge Franz Liszt, zu dessen erstem im Druck erschienenen Werk seine Variation werden sollte.
Diese 50 ganz anderen "Diabelli-Variationen" komplett zu hören, hatte man nun im Rahmen des Beethovenfest-Projekts "Diabelli" im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses die Gelegenheit. Unter Siegfried Mauser als Kurator hatten sich Studierende der Klavierklassen von Klaus Kaufmann, dem eigentlichen Initiator, Andreas Groethuysen, Rolf Plagge, Jacques Rouvier und Pavel Gililov am Salzburger Mozarteum für diese "vaterländische" Anthologie des Jahres 1824 vorbereitet.
Höchst unterschiedliche Beiträge
Erwartungsgemäß fielen die Beiträge höchst unterschiedlich aus: Das gab es viele, die das Thema in C mit virtuoser Brillanz umspielten, andere beschränkten sich auf eine hausmusikantisch eher biedere Adaption. Und es gab Schubert und Liszt, die jeweils die Moll-Tonart präferierten: Schubert in Abgründe blickend, Liszt tastenakrobatisch himmelstürmend, beides atemberaubend dicht dargeboten von einem viel versprechenden Andrey Dubov.
Die musikalischen Beiträge zum Beethovenfest-Projekt "Diabelli" flankierend, hatte sich unter der Leitung von Jürg Stenzl aus Salzburg eine musikwissenschaftliche Runde im Kammermusiksaal zusammengefunden, die Rezeptionsgeschichte von Beethovens monumentalem Klavierwerk zu reflektieren. Unter dem Motto "'Das Heiligste mit dem Harlequino vereint?', Beethovens 'Diabelli-Variationen' in Geschichte und Gegenwart" diskutierten Hans-Joachim Hinrichsen, Orinarius in Zürich, Lars E. Laubhold aus Salzburg, Sigfried Schibli, Musikkritiker der Baseler Zeitung, sowie der ehemalige Bonner Ordinarius Wolfram Steinbeck.
Hinrichsen verwies eingangs auf das Verdienst Hans von Bülows, der 1856, gerade einmal 26-jährig, den Kosmos der "Diabelli-Variationen" einer Öffentlichkeit vorstellte, die ihn wegen seiner Komplexität als provokant esoterische Musik begriff. Für Hinrichsen ist Beethovens Opus 120 geprägt von einem "philosophischen Humor mit stetem Blick in den Abgrund".
Dem Vorstoß Schiblis, einer breiteren Publikumswirksamkeit zuliebe nur ausgewählte Variationen zu spielen, begegnete die Runde mit einhelliger Ablehnung, zumal man sich anhand später diskutierter Vergleichseinspielungen einig darüber war, dass die einzelne Variation umfassende Bedeutung erst aus ihrem Kontext heraus erhalte: Die Stringenz einer Interpretation gebiete Integralität. Zumal Beethoven insbesondere mit den letzten Variationen einen "Geschichtsraum" (Bach, Händel, Mozart, Haydn) eröffne, in welchen er sich selbstverständlich eingefügt habe.
Jean-François Heisser bildete den Abschluss
Mit Opus 111, der letzten von Beethovens 32 Klaviersonaten, kam das Projekt "Diabelli" im Kammermusiksaal des Beethoven-Hauses zum Abschluss. Mit dem 1950 im südfranzösischen Saint-Etienne geborenen und seit über zwanzig Jahren am Pariser Conservatoire lehrenden Jean-François Heisser saß ein Interpret im Kammermusiksaal am Steinway, der die Moderne wie die Avantgarde schätzt, gute Voraussetzungen, Beethoven vor musealer Vitrinenbewunderung zu bewahren.
Heisser spürt Beethovens zukunftsweisendem Werk aus der Gegenwart nach, nimmt seine Modernität ernst, indem er virtuosen Verlockungen ebenso widersteht wie pathetischen. Ihm geht es im Maestoso-Allegretto- wie im Arietta-Variationensatz um den fein ausgehörten "Klangsinn" der auf kleinstem Raum vereinigten Charakterzüge.
Mit den klingenden "Ansichtskarten" des ersten Teils der "Iberia"-Suite von Isaac Albéniz, "Evocación", "El puerto" und "El Corpus Christi en Sevilla", hatte Heisser begonnen. Darauf spielte er das 2007 fertiggestellte, bisweilen scheint's Messiaen goutierende Werk "Veränderungen (...deuxiéme sonate...) pour piano" seines (anwesenden) Landsmannes Philippe Manoury, das sich inhaltlich mit Beethovens Diabelli-Zyklus auseinandersetzt. Zum Schluss dann noch die asketisch wirkende "Música Callada" des Katalanen Federico Mompou.