"Ich bin etwas schief ins Leben gebaut"

Otto Sander liest im Forum des Siegburger Stadtmuseums Joachim Ringelnatz - Der Abend mit skurilen und launigen Gedichten gerät zum glanzvollen Auftakt

  Ringelnatz  rezitiert der Schauspieler Otto Sander beim furiosen Auftakt der Siegburger Literaturwochen im ausverkauften Stadtmuseum.

Ringelnatz rezitiert der Schauspieler Otto Sander beim furiosen Auftakt der Siegburger Literaturwochen im ausverkauften Stadtmuseum.

Foto: Eisner

Siegburg. Das Licht erlischt, der Spot geht an - und er ist präsent. Vielmehr zunächst ist es seine unverkennbare Stimme, die das Forum im Stadtmuseum mit Leben füllt.

"Guten Abend, schöne Unbekannte." Otto Sander taucht aus dem Dunkel der Bühne auf, spricht weiter während er die Papierboote und Rumflaschen passiert. "Wie? Ich sei angetrunken? O nein, nein! Nein!"

Er wendet sich scheinbar an eine ganz bestimmte Person im Publikum. "Ich bin völlig besoffen und hundsgefährlich geistesgestört." Sander nimmt Platz, greift zum Weinglas.

"Ich bin etwas schief ins Leben gebaut", bekennt er. "Ich bin nur ein kleiner, unanständiger Schalk. Mein richtiges Herz. Das ist anderwärts, irgendwo im Muschelkalk."

Otto Sander liest Joachim Ringelnatz. Und damit haben die 26. Siegburger Literaturwochen am Mittwochabend einen glanzvollen Auftakt gefunden. Vor ausverkauftem Haus brillierte der Schauspieler, den Gerd Bessler an Piano und Phonoviola begleitete, mit den Versen des Dichters und Kabarettisten.

Sander hauchte seinem Werk Leben ein und spielte dabei mit allen Facetten seiner Stimme. Er flüsterte und grummelte, sprach düster, dann wieder heiter, mal dehnte er die Silben, mal rollte er genussvoll das "R" und immer wieder war da dieser sonore, mitunter schauerliche Unterton.

Und seine Zuhörer erwiesen sich als Ringelnatz-Kenner. Sie schmunzelten, nickten erkennend und lachten, wenn die munteren, wohlgefeilten Worte des 1883 als Hans Bötticher geborenen Dichters über Sanders Lippen kamen.

Ob die Schnupftabakdose, die Ameisen oder die legendären Himmelsknödel, viele der skurillen und launigen Gedichte über die Liebe und das Meer, über das Turnen - wie Bockspringen oder Fußball - und die Großstadteinsamkeit waren bekannt.

Im stilecht "geringelten" Pullover avancierte Sander zum Seemann "Kuttel Daddeldu" und spann fortan Seemannsgarn in Ringelnatz-Manier.

Otto Sander ließ auch Biografisches einfließen, berichtete aus Ringelnatz' abwechslungsreichem Leben: von der Schule geflogen, Internat, Schiffsjunge, Matrose, Kaufmannslehre und zurück zur See, mit Mitte 20 die ersten Gedichte.

Der Dichter selbst spricht gerne von seinem Abenteuerleben als Schlangenbändiger etwa, doch nach kurzer Buchhalter-Karriere in München folgt die wahre Berufung: "Ich ging den lustigen, luftigen Weg der Bohème."

Im Kabarett "Simplicissimus" trat er auf, begeisterte im Berliner "Schall und Rauch". Er trug seine Gedichte so vor, als ob er jeden Vers im Augenblick des Vortrags erfinden würde. Ebenso tat es Otto Sander.

Schwermütig waren die Verse, die den zweiten Teil des Abends prägten. Ob es der Lebensrückblick der Eintagsfliegen oder die von Todessehnsucht gezeichneten Großstadtimpressionen waren.

Zu Beginn der 30er Jahre ahnte Ringelnatz den nahenden Tod - im November 1934 starb er an einem Lungenleiden - und er litt unter dem Naziregime. Im nationalsozialistischen Deutschland war er unerwünscht.

"Nach Berlin, nach Berlin umzuziehen, aus der dümmsten Stadt der Welt." Sander bekannte, das Gedicht einmal in Bonn gelesen zu haben: "Das kam nicht gut an." Anders in Siegburg.

Und so durfte er die Bühne erst nach einigen Zugaben verlassen. Die Daddeldu-Version des Rotkäppchens schloss Sander mit den Worten: "Marsch fort. Lasst euren Vater jetzt eins trinken, ihr - überflüssige Fischbrut."

Das Programm der Literaturwochen gibt es im Internet unter www.siegburg.de.

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