Interview mit Tabea Zimmermann "Ich habe eine Zeitreise gemacht"

Die neue Vorsitzende des Vereins Beethoven-Haus heißt Tabea Zimmermann. Die renommierte Bratschistin wurde gestern bei der Mitgliederversammlung des Vereins einstimmig als Nachfolgerin von Kurt Masur gewählt, der aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr angetreten war.

 Tabea Zimmermann gestern während einer Probe mit dem Gürzenich-Orchester in Köln.

Tabea Zimmermann gestern während einer Probe mit dem Gürzenich-Orchester in Köln.

Foto: Thomas Brill

Was bedeutet es für Sie, als Vorsitzende des Vereins Beethoven-Haus Nachfolgerin sehr bedeutender Persönlichkeiten zu sein? Die Liste reicht von Joseph Joachim bis Kurt Masur.
Tabea Zimmermann: Dass man mir den Vorsitz angetragen hat, empfinde ich als eine unglaubliche Ehre. Ich bin selbst noch nicht so ganz sicher, ob ich dieser Aufgabe gewachsen bin.

Erinnern Sie sich an das Gefühl, als Sie vor zwölf Jahren die restaurierte Bratsche Beethovens zum ersten Mal spielten?
Zimmermann: Es war ein ganz spezieller Moment, das Instrument aus dem Dornröschenschlaf erwecken zu dürfen. Ich habe erst einmal anderthalb Stunden gebraucht, um mich auf dieser Bratsche einzuspielen. Dabei habe ich in gewisser Weise eine Zeitreise gemacht. Das war schon eine große Ehre, die Schwingungen wiederbeleben zu dürfen, die da schon mal angelegt waren.

Ist dadurch Ihr Verhältnis zum Beethoven-Haus enger, persönlicher geworden?
Zimmermann: Ja. Auch wegen der Plattenaufnahmen. Ich musste zum Üben ins Beethoven-Haus kommen, weil ich die Bratsche aus sicherheitstechnischen Gründen nicht mit nach Hause nehmen durfte. Damals hat mich dann der Museumsleiter Michael Ladenburger durch die Schätze im Hause geführt, mich sozusagen in die Geheimnisse eingeweiht.

Haben sie mit Kurt Masur über Ihre kommenden Aufgaben gesprochen?
Zimmermann: Ich habe mich sehr darüber gefreut, dass er mich angerufen hat, um mir alles Gute zu wünschen. Aber wir haben noch nicht im Detail über die großen Aufgaben gesprochen.

Sie sind vier Jahrzehnte jünger als Herr Masur. Hat das inhaltliche oder perspektivische Auswirkungen auf die Arbeit?
Zimmermann: Wir werden uns jetzt erst einmal in Ruhe zusammensetzen und über alles reden. Mich hat vor allem die vom Beethoven-Haus entwickelte Idee gereizt, das Kammermusikfest wieder aufleben zu lassen, das Joseph Joachim 1890 begründet hatte. An diese Tradition anzuknüpfen, halte ich für eine wichtige Sache. Dass ein Generationswechsel auch andere Ideen mitbringen kann, liegt in der Natur der Sache. Aber vor Masur, mit dem ich auch schon einmal das Glück hatte zu musizieren, habe ich natürlich großen Respekt.

Ist das Kammermusikfest auch im Hinblick auf das Jubiläumsjahr 2020 von großer Bedeutung?
Zimmermann: Ja, der Zusammenhang war durchaus angedacht.

Bedauern Sie es, dass Beethoven die Bratsche ein bisschen vernachlässigt hat im Vergleich zu anderen Instrumenten?
Zimmermann: Nein, das war zu Beethovens Zeit ja nicht ungewöhnlich. Man sah sich damals eher als Musiker und weniger als Spezialist für ein Instrument. Aber die Bratsche hat in Beethovens Kammermusik und auch in den Sinfonien ganz wunderbare Aufgaben. Als Soloinstrument hat sich die Bratsche ja erst im vergangenen Jahrhundert etabliert.

Sie haben vor einiger Zeit das Arcanto Quartett gegründet. Für die Besetzung hat Beethoven ja wesentliche Beiträge komponiert.
Zimmermann: Beethoven hat Bedeutendes für die Quartett-Besetzung geschrieben. Vor den späten Quartetten haben wir noch tiefen Respekt, der uns zögern lässt, damit an die Öffentlichkeit zu treten. Wir ringen noch.

Sie sind in einer musikalischen Familie aufgewachsen, Ihre drei Kinder sind ebenfalls sehr musikalisch. Glauben Sie eher an die Förderung großer Talente oder ist es wichtig, in der Breite aufgestellt zu sein und jedem Kind das Erlernen eines Instrumentes zumindest zu ermöglichen?
Zimmermann: Im Idealfall sollte beides gehen. Man braucht natürlich diese Breite, um talentierte Kinder entdecken zu können und zu fördern. Ich sehe derzeit die Gefahr, dass die Qualität der Musikschulen sehr nachlässt. Die Gründe dafür sind naheliegend. Wenn beispielsweise Stellen nicht nachbesetzt werden, kann das nicht ohne Folgen für die Qualität bleiben. Das sind strukturelle Probleme. Andererseits wird Musikunterricht oft als Luxus angesehen wie die Reitstunde. Man tendiert heute dazu, alles auf den kleinsten Nenner herunterzubrechen. Das Projekt "Jedem Kind ein Instrument", bei dem ich einige Zeit mitgewirkt habe, konnte nicht wirklich erfolgreich sein. Man kann das Erlernen eines Instrumentes nicht im Billigpaket in einer Schulstunde abarbeiten.

Wie sah der Unterricht in Ihrer Kindheit aus?
Zimmermann: Ich hatte das große Glück, an einer Musikschule unterrichtet zu werden, an der die Lehrer als Team zusammengearbeitet haben. Es gab die Idee, Kammermusik, Orchester, Chormusik und Theorie miteinander zu verbinden. Allein in der Ecke zu stehen und zu üben, macht noch lange keinen Musiker.

Sie lehren selbst in Berlin an der Hochschule. Wie wichtig ist Ihnen das?
Zimmermann: Es ist mir extrem wichtig. Ich bin sehr dankbar dafür, schon mit 19 den ersten Lehrauftrag in Saarbrücken erhalten zu haben. Mein Lehrer Ulrich Koch meinte damals, ich sollte dort Erfahrungen als Lehrerin sammeln. Wohl mit dem Hintergedanken, dass ich seine Nachfolgerin in Freiburg werden konnte. Ich bin dann jedoch andere Wege gegangen. Aber der Austausch mit den Studenten, sie auf den Weg zu begleiten, das bringt mich auch selber weiter. Ich wäre heute nicht die Musikerin, die ich bin, ohne den Anteil der Lehrerin in mir.

Im Beethoven-Haus werden regelmäßig Meisterkurse angeboten. Könnten Sie sich vorstellen, da selbst aktiv zu werden?
Zimmermann: Selbstverständlich. Ich tue das wahnsinnig gerne, habe mich in der letzten Zeit aber, was solche Kurse angeht, wegen meiner familiären Situation mit drei Kindern zurückgehalten.

Zur Person

Tabea Zimmermann, Jahrgang 1966, studierte Bratsche unter anderem bei Ulrich Koch an der Musikhochschule Freiburg und gewann zahlreiche Preise. Heute gilt sie als weltweit führende Interpretin auf ihrem Instrument. Seit 2002 ist sie Professorin an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" Berlin. Zimmermann ist mit dem Dirigenten und Chef der Bochumer Symphoniker Steven Sloane verheiratet. Sie hat drei Kinder.

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