Ausstellung im Kölner Kollwitz Museum Illusion und Depression

Köln · Aktuelle Forschungen und ein neuer Blick auf die Skulpturen von Käthe Kollwitz in der Ausstellung "Gussgeschichte(n)" im Kölner Kollwitz Museum.

 Ungleiches Paar: Annette Seeler erklärt die Unterschiede der zwei Selbstporträts von Käthe Kollwitz.

Ungleiches Paar: Annette Seeler erklärt die Unterschiede der zwei Selbstporträts von Käthe Kollwitz.

Foto: Kollwitz-Museum

Was winzige Details ausmachen, wie sie Entscheidendes verändern können, zeigt eine außergewöhnliche Ausstellung im Kölner Käthe Kollwitz Museum, die intensiv wie selten den aktiven Betrachter herausfordert. Käthe Kollwitz' bildhauerisches Werk wird neu beleuchtet. Museumschefin Hannelore Fischer hat die gesamte Ausstellungsfläche geräumt, um die Recherchen Annette Seelers auszubreiten, die das erste Werkverzeichnis der Kollwitz-Plastik vorlegt. Fünf Jahre lang ist die Kunsthistorikerin, finanziell unterstützt von der Kreissparkasse Köln, den Spuren des Werks nachgegangen. Kollwitz' Skulpturen sind weltweit verstreut, Seeler ermittelte Standorte in Europa und in den USA, in Kanada, China und Japan. Ausgangspunkt war unter anderem eine Referenzliste der Werke von Kollwitz' Sohn Hans, die exzellente Sammlung des Kollwitz-Museums, außerdem Verzeichnisse der Bronzegießerei Noack.

Hintergrund des gesamten Kölner Projekts „Gussgeschichte(n)“ ist die sehr emotional geführte Debatte um Kopien, posthume Güsse und Fälschungen, die 2008 in ein Symposium im Arp Museum Rolandseck mündete und mit dem Versprechen von Wissenschaftlern und Museumschefs endete, schleunigst Orientierung durch Werkverzeichnisse zu schaffen, die Originale, Kopien und Nachgüsse auflisten. Seelers jetzt bei Hirmer erschienenes Kollwitz-Verzeichnis erfüllt diese Aufgabe nicht nur, herausgekommen ist ein spannendes und exzellent bebildertes Lesebuch.

Der Besucher wird von einer aufschlussreichen Begegnung empfangen: Da ist das berühmte, 1926 begonnene und 1936 vollendete plastische Selbstporträt in Bronze, das uns in einer zu Lebzeiten nach dem Originalgips gegossenen Variante aus einer Berner Sammlung und einem 1951, nach Kollwitz' Tod, entstandenen Guss aus dem Kölner Museum begegnet. Die Berner Skulptur ist detailreicher, die Patina eher matt, die Oberfläche wie das Ton-Original wirkend.

Das Gesicht zeigt eine nicht mehr junge und leicht ermattete Frau, die aber wach und erhobenen Hauptes in die Welt blickt. Ganz anders das nach dem Tod entstandene Werk: Die Bronze ist so behandelt, dass der metallene Glanz im Vordergrund steht, etliche Details sind durch den späteren Guss verlorenen gegangen, die Kopfneigung leicht nach unten lässt Kollwitz trauernd, schwermütig, resigniert erscheinen. So wie die Bildhauerin in der Nachkriegszeit interpretiert wurde. Ein Bild, das Sonya und Yury Winterberg im vergangenen Jahr mit ihrer grandiosen Kollwitz-Biografie glänzend widerlegt haben.

Die spannende „Gussgeschichte“, die die Ausstellung mit diesem ersten Skulpturenpaar erzählt, ist noch nicht vorbei, denn da ist eine dritte Variante, die noch mehr berichten kann. Sie stammt aus dem Baltimore Museum of Art, ist etwa gleich alt wie die Berner Variante, wirkt aber lebendiger. Käthe Kollwitz, die erst 37-jährig zur Bildhauerei fand und fast 60 war, als sie ihr erstes plastisches Selbstporträt schuf, hat sich damit unbeschreiblich gequält, „fluchend und schimpfend“ sei sie drangegangen, haderte sie in ihrem Journal, „doch ich komm nicht los, jeder Tag endet mit neuer Illusion und jeder nächste Tag beginnt mit wütender Depression“.

1936 war das Selbstporträt endlich vollendet. Doch zeigen konnte Kollwitz es nicht. Die Nazis verhinderten zwei Ausstellungen, die Künstlerin stand auf dem Index. Erst im Mai 1938 erblickte das Selbstporträt mit drei weiteren Bronzen das Licht der Öffentlichkeit – in New York, in einer Schau der Galerie Buchholz. Das Kölner Museum hat ein historisches Foto aus der US-Ausstellung aufgetan, stark vergrößert und gruppiert davor das damals gezeigte Selbstbildnis, das „Grabrelief“ (1935/36), „Frau mit Kind im Schoß“ nach einem Modell von 1911 und die unmittelbar vor der Ausstellung vollendete Gruppe mit „Abschiedswinkenden Soldatenfrauen II“. Drei der Bronzen waren mit „Made in Germany“ gestempelt.

15 Gips-Modelle von Käthe Kollwitz sind insgesamt in Bronze ausgeführt worden, nahezu unüberblickbar ist die Menge der Stucco-, Gips- und Zinkvarianten. Das Relief „Die Klage“ zählt zu den beliebtesten Werken der Bildhauerin, Seeler hat rund 120 „legale“ Güsse und Abformungen ermittelt, die Zahl der Fälschungen sei beachtlich, sagt sie.

Hoch im Kurs stand auch die „Pietà“, wobei Seeler die durch Helmut Kohl angeregte und durch Harald Haacke vierfach vergrößerte „Pietà“ für die Neue Wache in Berlin ausdrücklich nicht als Kollwitz-Werk durchgehen lässt. Zu Seelers Forschungen gehört auch die Auswertung eines bislang unveröffentlichten Briefes von Käthe Kollwitz, der die reine Pietà-Thematik der trauernden Mutter relativiert.

Die Kölner Ausstellung nimmt den Betrachter bei der Hand, erklärt ihm Gusstechniken und Produktionsverfahren, widmet jedem Werk ein ausführliches Kapitel mit Vorzeichnungen und verwandten Arbeiten. An den Blättern sieht man, dass die Kollwitz beim Zeichnen schon bildhauerisch dachte, mit Volumina, Oberflächen, Licht und Schatten spielte. Die eindrucksvolle Schau endet mit einem Blick in Käthe Kollwitz' Sterbezimmer im Rüdenhof von Schloss Moritzburg bei Dresden. Ein historisches Foto zeigt, dass sich die Bildhauerin mit zwei Skulpturen umgab, dem Frühwerk „Frau mit Kind über der Schulter“ (1917) und ihrer letzten Arbeit „Zwei wartende Soldatenfrauen“. Den Bronzeguss hat die 1945 gestorbene Künstlerin nicht mehr erlebt.

Käthe Kollwitz Museum Köln; bis 5. Juni. Di-Fr 10-18 Uhr, Sa, So 11-18 Uhr. Katalog (Hirmer) 39 Euro. Umfangreiches Rahmenprogramm: www.kollwitz.de

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