Jazzfest in Bonn Im Rausch auf der Opernbühne

Bonn · Club-Atmosphäre in den Hallen der Hochkultur: Die Jazzrausch Bigband und Jazzanova reißen das Publikum in der Bonner Oper von den Sitzen. Das verzeiht dann gern auch kleine Schwächen.

 Im Jazzrausch: Tuba-Spielerin Jutta Keeß.

Im Jazzrausch: Tuba-Spielerin Jutta Keeß.

Foto: Thomas Kölsch

Boom. Boom. Boom. Ein Herzschlag aus Achtelnoten, ein Lebenszeichen der Club-Kultur – in der Bonner Oper. Gut so. Diese Bässe hätten weder die Veranstalter im Kulturgarten noch auf dem Kunstrasen genehmigt bekommen, noch nicht einmal in halber Lautstärke. In den heiligen Hallen der Hochkultur ist der Schalldruck dagegen zum Glück kein Problem. Schon gar nicht dieser spezielle Puls, der die wahrscheinlich heißeste, modernste, aufregendste Bigband Deutschlands sowie mehrere hundert Zuschauer in Bewegung setzt. Die Lichter zucken im Rhythmus des Klanggewitters, die Boxen wummern, die Menge steht Kopf und die Jazzrausch Bigband schmettert die ersten Takte der Mondscheinsonate. Ja, das passt zusammen, hervorragend sogar. Und doch ist diese Nummer nur der Startschuss für ein  Konzert, das die Einstellung zu Techno – und zu Jazz – in allen Altersschichten grundlegend verändern dürfte.

Schon 2019 hat die weltweit einzige Haus-Bigband eines Techno-Clubs im Rahmen des Jazzfests gespielt und eine berauschende Atmosphäre geschaffen. Dieses Mal sind die Münchener sogar noch besser, noch vielseitiger, noch komplexer. Sie und vor allem Komponist Leonhard Kuhn kokettieren geradezu damit, bedienen sich bei alten Meistern, adaptieren die „ausgewiesenen Techno-Fans“ Beethoven und Goethe (als solche bezeichnet sie zumindest Bandleiter Roman Sladek) sowie den Dada-Gründer Hugo Ball oder verweisen bei einem Stück über Künstliche Intelligenz kurzerhand auf Michel Foucault. Auf diese Weise dekonstruieren sie konsequent das weit verbreitete Vorurteil, Techno und House seien musikalisch und intellektuell anspruchslos.

Jubel wie in Konzert-Arenen

Von wegen. Was die Jazzrausch-Truppe abliefert, ist schlichtweg brillant: Mal flirren Arabesken durch den Raum, dann wieder Motive aus der Klassik und immer wieder Soli mit mehr Energie als ein Atomkraftwerk. Kein Wunder also, dass das Publikum bei „Make Craft Perform“ zu tanzen beginnt und die Band zu Recht mit einem Jubel bedenkt, den man sonst nur aus den großen Konzert-Arenen kennt.

Ähnliches hätte auch Jazzanova Soundsystem fast geschafft. Die kleinstmögliche Live-Besetzung des Berliner DJ-Kollektivs, das 1997 einen ganz eigenen Sound aus Jazz, Latin und House kreierte, vermischte zu Beginn des Doppelkonzerts geschickt Pop und Singer-Songwritertum mit Posaunen- und Saxofon-Fanfaren sowie fetten Bässen vom Band, drehte im weiteren Verlauf die Regler noch ein bisschen weiter auf. Zusammen mit dem charmanten Gesang von Clara Hill und David Lemaitre hätte diese  Kombination das begeisterte Publikum vielleicht auch zum Tanzen animiert – wäre nicht das externe Team an Licht und Ton offensichtlich völlig überfordert gewesen. Die miserable Ausleuchtung ließ einfach keine Stimmung aufkommen, während aus den hinteren Boxen eine leicht verzögerte Übertragung der höheren Frequenzen das ganze Klanggerüst kollabieren ließ. Mit Haustechnikern wäre das sicherlich nicht passiert. Dennoch erhielt auch das Jazzanova-Team tosenden Applaus.

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