Inzest zu romantischer Musik
Die Oper "Bluthaus" kommt zum Auftakt der Festspiele in Schwetzingen mit Bonner Beteiligung auf die Bühne.
Bonn. Es gibt keine sichtbare Blutspur in dem Haus, das die Studentin Nadja Albrecht von ihren verstorbenen Eltern geerbt hat und so schnell wie möglich verkaufen möchte. Aber der elegante, Licht durchflutete weiße Bau, den Nadjas Vater Werner als professioneller Architekt selbst entworfen hat, scheint heimlich zu leben.
Das in ihrem Geburtsjahr 1986 errichtete Haus war Nadjas gleichzeitig zu enge und zu weite Heimat. Sigmund Freuds Essay über das Unheimliche verbindet Heim und Heimliches, das Vertraute mit der Angst vor der Wiederholung, in der Ähnliches plötzlich bedrohlich und fremd wird. Davon handelt die Oper "Bluthaus" des österreichischen Komponisten Georg Friedrich Haas, mit der die Schwetzinger SWR Festspiele eröffnet wurden.
Das Libretto zu dem von der Ernst von Siemens Musikstiftung unterstützten Auftragswerk stammt von dem österreichischen Dramatiker Händl Klaus, der auch den Text zu der 2010 in Bonn uraufgeführten Oper "Buch Asche" von Klaus Lang verfasste.
Es geht um sexuellen Missbrauch und Inzest. Assoziationen an den Fall im niederösterreichischen Amstetten und den Medien-Hype um Natascha Kampusch liegen nahe. Im Hintergrund der raffinierten Mischung aus Musik- und Sprechtheater stehen eher Brittens Oper "The Turn of the Screw" oder Poes Erzählung "The Tell-Tale Heart".
Der Bonner Generalintendant Klaus Weise inszeniert keine schlichte Horrorgeschichte, sondern spielt mit dem verborgenen Grauen in der scheinbaren Geborgenheit. Das transparente Bühnenbild von Martin Kukulies mit zwei Stockwerken und beweglichen Wänden öffnet Räume zwischen Innen und Außen, wobei die Tür zum wuchernden Garten mit seinen üppigen Früchten für Nadja verschlossen bleibt.
Der Bonner Generalmusikdirektor Stefan Blunier dirigiert die Musik, die manchmal tonal ironisch das Geschehen kommentiert, mit flirrenden Oberton-Akkorden, schrägen Harmonien und irren rhythmischen Brechungen Akzente setzt, am Pult des SWR-Radio-Sinfonieorchesters Stuttgart mit fabelhafter Präzision.
Die vier Gesangspartien mit ihrer bis in Sechszehntel-Töne differenzierten Stimmführung sind eine Herausforderung. Die Sopranistin Sarah Wegener als Nadja meistert das glänzend. Ihr zur Seite steht der Immobilienmakler Axel Freund, verkörpert von dem Counter-Tenor Daniel Gloger, dessen Stimme ihrer auf Augen- und Tonhöhe begegnet.
"Erotische Besessenheit" fordert die Partitur von der Szene, in der Vater Werner (mit eindrucksvollem Bariton: Otto Katzameier) seiner Tochter die Herstellung von Quittenkompott zärtlich erklärt: Nachdem die glatte Schale "vom Pelzchen" befreit ist, "zerschneiden wir das harte Fruchtfleisch mundgerecht" und kochen es für spätere Genüsse ein mit "Zucker, Zimt, Zitronensaft", wobei die Zischlaute so böse klingen, dass Mutter Natascha (die junge Mezzosopranistin Ruth Weber) zu Recht fragt: "Was hast du beim Vater gemacht?"
Das Blut im sauberen Haus riechen zuerst die drei Buben des aus Südafrika heimgekehrten Witwers und potenziellen Hauskäufers Maleta (Roland Silbernagl). Hunde züchten möchte Herr Fuchs (Hendrik Richter), Frau Stachl (Heide Simon) sucht ein Refugium für ihren malenden fetten Sohn Johannes (Günter Alt), der alte Herr Hubacher (Rolf Mautz) wäre mit seinem Freund Dr. Strickner (Wolfgang Rüter) gut aufgehoben, die fesche Frau Beikirch (Maria Munkert) braucht keine Küche, die coole Bankerin Reinisch (Tatjana Pasztor) kalkuliert mit ihrer Assistentin Irene (Philine Bührer) die Hypotheken. Mit Trachtenhut (witzige Kostüme: Dorothea Wimmer) und Gattenfiesling (Stefan Preiss) ist die blutige Aufklärung programmiert.
Fast das ganze Bonner Schauspiel-Ensemble ist involviert in die Sätze, die sich in rasendem Tempo immer mehrere Figuren teilen und dabei einen musikalischen Sprechlügen-Rhythmus entwickeln, der von einer Person nicht zu bewältigen ist. Das Ensemble ist die solide Basis dieser Koproduktion mit den Schwetzinger Festspielen im zauberhaften kleinen Rokoko-Schlosstheater.