Premiere am Theater Bonn "Jakob der Lügner" als Einpersonenstück

Bonn · Stefan Viering hat Jurek Beckers Roman für die Bühne bearbeitet und Werkstatt bearbeitet und spielt in der Werkstatt selbst den Erzähler.

 Der Schauspieler Stefan Viering als Erzähler in Jurek Beckers „Jakob der Lügner“.

Der Schauspieler Stefan Viering als Erzähler in Jurek Beckers „Jakob der Lügner“.

Foto: thilo beu

Am Anfang steht ein Baum. Und dieser Baum steht für beides zugleich – das Leben und das Verderben. Dafür, wie es war, als 17-Jähriger zum ersten Mal zusammen mit einem Mädchen unter einem grünen Blätterdach zu liegen. Und für den Tod der Frau, die – so heißt es – unter einem Baum erschossen worden sei. Ihr Mann, der Erzähler der folgenden Geschichte, hat selbst keinen Namen. Genauso, wie der Autor des 1969 veröffentlichten Romans „Jakob der Lügner“ es wollte.

Wer möchte, mag sich nun denken, dass der Erzähler das Alter Ego des Schriftstellers Jurek Becker sei, der in Łódz in Polen geboren wurde und als Jugendlicher im dortigen Ghetto überleben musste. Doch allzu lange sollte man darüber nicht darüber sinnieren, sonst würde man Stefan Viering auf der Bühne der Werkstatt nicht die Aufmerksamkeit schenken, die seine szenische Erzählung verdient.

All das findet in seiner Stimme, in seiner Gestik und Mimik Platz: die Erdrosselung jeglichen Lebens innerhalb der Ghettomauern, wo auch Zier- und Nutzpflanzen jeder Art strengstens untersagt werden und von den Bewohnern dort umgehend zu vernichten seien; die unentrinnbar-grausame Konsequenz der Shoa, der schulterzuckende Fatalismus, der letztlich dem fassungslosen Entsetzen weicht, während eine weitere Straße geräumt wird. Aber auch und vor allem die bittere Ironie, dass es eine Lüge ist, die – von dem Moment an, da sie sich verbreitet – all diejenigen, die fortan an sie glauben wollen, vom Selbstmord abhält. Wozu das alles, wird man fragen, wenn die Türen der Viehwaggons verriegelt werden, um diese Menschen an einen Ort zu bringen, der sie schließlich wünschen lässt, sie hätten es doch getan.

Es ist einer dieser intensiven Momente in der Inszenierung, in denen man tatsächlich die zitierte Stecknadel fallen hören könnte. Viering, dessen Engagements ihn seinerzeit zuerst nach Bonn und von dort aus weiter nach Kassel, Berlin, Frankfurt und Karlsruhe geführt haben, hat im November vor drei Jahren zwei Musiktheaterstücke aus Israel in der Bundeskunsthalle vorgestellt und stand 2016 in „Anatevka“ auf der Bühne der Bonner Oper. Seine szenische Fassung von „Jakob der Lügner“ ist Ergebnis einer Zusammenarbeit mit der Autorin und Regisseurin Jutta Berendes, die 25 Jahre lang das Karlsruher Jakobustheater in der Fabrik leitete. Sie bearbeitet seitdem literarische Vorlagen für die Bühne, unter anderem auch Texte des Arztes, Autors und Pädagogen Janusz Korczak, der die Kinder seines Waisenhauses im August 1942 ins Vernichtungslager Treblinka begleitet hat.

"Wo bleibt der Widerstand?"

„Und der Widerstand, wo bleibt der Widerstand?“, fragt der Erzähler. Er selbst jedenfalls bekennt, alle Anordnungen der Deutschen stets strikt befolgt zu haben; sogar die groteske Sache mit den Bäumen. Doch sein Tonfall und die begleitenden Blicke leiten ebenso behutsam wie unmissverständlich die tatsächliche Antwort ein.

Muss man Jakob Heym also wirklich böse sein, weil er das mit dem Radio erfunden hat? Weil die Russen, die angeblich in nur 400 Kilometer Entfernung vor der Stadt Bezanika standen, in Wahrheit nie gekommen sind, um das Ghetto zu befreien? Welches von Becker offerierte Ende dieser Geschichte sollte man nun also wählen? Jakob, der sich die Judensterne vom Mantel reißt und auf der Flucht erschossen wird, kurz bevor die russischen Panzer doch noch anrollen? Oder den Transport und die leise Hoffnung, dass irgendeiner, der Jakob geglaubt und der durchgehalten hat, womöglich auch das Lager überleben wird?

Becker-Biograf Louis Begley hat den Roman „Ein Märchen aus der Hölle“ genannt. Mag sein, aber manchmal muss man an etwas glauben. Und sei es nur Winston Churchills Stimme aus einem Radio, das nie wirklich existiert hat.

Die nächsten Vorstellungen: 7. Dezember und 17. Januar. Karten gibt es in den Bonnticket-Shopsder GA-Zweigstellen.

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