Jan Philipp Reemtsma in der Buchhandlung Böttger Bonn Zentrale Gestalt der Aufklärung

Bonn · Jan Philipp Reemtsma spricht über Christoph Martin Wieland. Das ist in der Buchhandlung Böttger ein faszinierender Abend über deutsche Zeit- und Geistesgeschichte. Und die Begegnung mit einem besonderen Experten.

 Der Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma.

Der Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma.

Foto: dpa/Christian Charisius

Selbst als langjähriger Dauerbesucher von Lesungen in Bonn erlebt man es nicht alle Tage, dass eine schwarze Mercedes-Limousine mit zwei Leibwächtern vor der Buchhandlung geparkt steht. Für allzu große Verwunderung sorgt diese Tatsache freilich nicht: Zu Gast bei Alfred Böttger ist der renommierte Literaturwissenschaftler, Publizist und Mäzen Jan Philipp Reemtsma, der bekanntlich 1996 Opfer einer Entführung wurde. Im Mittelpunkt des Abends in der inklusive des letzten Hockers vollbesetzten Buchhandlung steht Christoph Martin Wieland (1733 bis 1813), seinerzeit der bekannteste deutsche Schriftsteller und Aufklärer, der die „Weimarer Klassik“ begründete. Unverständlich daher, dass die deutsche Germanistik des 19. sowie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mehr oder weniger „konsequent an Wieland vorbei gelesen“ hat, wie Reemtsma eingangs bemerkt.

Führender Wieland-Experte

Der vorwiegend in Hamburg und Wien lebende und arbeitende Wissenschaftler gilt als der führende Wieland-Experte und hat bereits eine ganze Reihe an entsprechenden und viel beachteten Publikationen vorgelegt. Im C. H. Beck Verlag erscheint am 16. März Reemtsmas mit Spannung erwartete Biografie „Christoph Martin Wieland – Die Erfindung der modernen deutschen Literatur“.

Bei Alfred Böttger orientiert sich Reemtsma in seinem frei gehaltenen Vortrag an zwei Veröffentlichungen, die im Vorjahr erschienen sind. In erster Linie befasst er sich mit dem von ihm selbst und Hans-Peter Nowitzki herausgegebenen Wieland-Lesebuch „Ein paar Goldkörner oder Was ist Aufklärung?“ (Wallstein, 324 Seiten, 30 Euro). Im letzten Teil des Abends stellt er Wielands epischen Briefroman „Aristipp und einige seiner Zeitgenossen“ vor, ebenfalls herausgegeben von Reemtsma und Nowitzki (Wallstein, 978 Seiten, 48 Euro): ein meisterhaft komponiertes Gespräch über Liebe und Kunst, Philosophie und Gesellschaft, Freiheit und Humanität.

Ohne Wieland keine Weimarer Republik

„Er wusste schon frühzeitig, dass er ein im weitesten Sinne philosophierender Schriftsteller werden wollte“, sagt Reemtsma bei Böttger. 1772 kam Wieland nach Weimar – als Mentor für die beiden Söhne der Herzogin Anna Amalia. „Wenn er diesen Schritt nicht getan hätte, dann hätte es keine Weimarer Klassik gegeben und auch keine Weimarer Republik.“ Neben seiner Aufgabe als „Prinzen-Erzieher“ hatte Wieland insbesondere ein Ziel vor Augen: „Er wollte aus Weimar etwas machen, das wir heute Kulturhauptstadt nennen“, so Reemtsma. Dafür entwickelte Wieland neben einer innovativen, verschlankten Variation der Oper auch die (nach französischem Vorbild) literarisch-politische Zeitschrift „Der Teutsche Merkur“. Reemtsma: „Am bedeutendsten waren darin die Nachrichten über die Französische Revolution. Er griff dabei oft zu der Form eines Zwiegesprächs, bei dem es nie zu einem Konsens kam. Das sollte es auch nicht.“ Ziel war es, gegensätzliche Meinungen zuzulassen.

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