Auftakt zum Jazzfest in Bonn Das Opernhaus tobt

Bonn · Thomas D und Florian Weber eröffnen das Jazzfest Bonn. Da gehen Begeisterung und Irritation Hand in Hand. Wo einige sich abwenden, tanzen die anderen. In jedem Fall ein Erlebnis.

Florian Weber hat sich mit dem Dogma Chamber Orchestra Kompositionen von Bach vorgenommen und interpretiert sie neu.

Florian Weber hat sich mit dem Dogma Chamber Orchestra Kompositionen von Bach vorgenommen und interpretiert sie neu.

Foto: Jazzfest/www.heikefischer-fotografie.de

Drei Namen – die allesamt nicht unter Jazz-Verdacht stehen – prägten den fulminanten Auftakt des 13. Jazzfests Bonn am Montag in der Oper: Johann Sebastian Bach, Thomas D und Led Zeppelin. Letztere Rock-Legenden insofern, als sie zwei sehr unterschiedliche Musiker zusammenbrachten: den Pianisten Florian Weber und den Geiger Mikhail Gurewitsch, beide Fans von Led Zeppelin. Für das Projekt „Bach Comprovised“, in dem wild spekuliert wird, wie denn Bach heute komponieren würde. Berührungspunkte zu Led Zeppelin hätte auch er, so hört man. Spektakulär war das allemal in einem begeisternden und zugleich verstörenden Auftakt-Doppelkonzert zu einem Jazzfest, das unter dem Motto „Beyond Category“ steht und zumindest beim Start über seine Wurzeln hinwegsieht – großzügig, mutig oder leichtfertig (das wird sich im Verlauf noch zeigen).

Etliche ratlose Gesichter nach dem ersten Set mit Weber, dem Dogma Chamber Orchestra und Bach. „Ist das Jazz? Habe ich nicht verstanden“ und „Klassik ist nicht so mein Ding. Ich freue mich auf Thomas D“, so zwei Reaktionen in der Pause. Dem Rapper der Fantastischen Vier, Thomas D, und der Band KBCS gelang es dann, rockend und mit anschwellender Lautstärke mehrere Reihen leerzuspielen. „Rock im Opernhaus haut den Opa raus“, rappte der anfangs irritierte Thomas D als Reaktion, „ihr Klassikfans, nutzt die Gelegenheit, der Rapper ist zurück“, rief er von der Bühne und intonierte trotzig den Song „Weitermachen“. Gelichtete Reihen, Begeisterungsstürme, Standing Ovations: So endete der polarisierende Abend.

Zum Auftakt ein atemberaubendes Experiment

Begonnen hatte er mit einem atemberaubenden Experiment: Weber, in Bonn bestens bekannter Jazzpianist, stellte seine Lieblingsstücke von Bach ins Rampenlicht des 21. Jahrhunderts und hatte sich dafür das begnadete Dogma Chamber Orchestra auf die Bühne geholt, ein 16-köpfiges Streicher-Ensemble, das im Stehen musizierend zusammen mit Weber Bach dekonstruierte und nach allen Regeln der Kunst neu zusammensetzte. Ein unglaubliches Spektakel, fesselnd bis zum Schluss, das sich lust- und einigermaßen respektvoll an dem Klassiker verging.

Thomas D bringt seine Lieblings-Songs mit den KBCS aus Hamburg auf die Bühne der Bonner Oper.

Thomas D bringt seine Lieblings-Songs mit den KBCS aus Hamburg auf die Bühne der Bonner Oper.

Foto: Jazzfest/www.heikefischer-fotografie.de

Das mit Verve uminterpretierte dritte der Brandenburgischen Konzerte, das d-Moll-Klavierkonzert, das verblüffende Anklänge an Rachmaninow verriet, zauberhafte Motive aus dem „Agnus Dei“ (H-Moll-Messe) und dem „Erbarme dich“ (Matthäuspassion) brachten das Publikum in Stimmung. Faszinierend, wie Weber immer wieder in neue Gefilde ausbrach – und die Dogma-Streicher ihn auf den Pfad der Bach-Tugend zurückholten. Ein Höhepunkt war das Bach‘sche Violin-Doppelkonzert, in dem Anna-Lena Schnabel als Überraschungsgast mit ihrer Querflöte mitreißende Akzente einbrachte. Ihr schnelles, drängendes Spiel, die wunderbaren Läufe, die nahelegten, Bach könnte Claude Debussy gekannt haben, stachelten das Ensemble an. Das „Duell“ zwischen Weber und Schnabel geriet extrem spannend.

Hier Streicher, dort Rap

Mit der „Partita, oder das, was von ihr übrig geblieben ist“, so Weber, setzten er und Gurewitsch einen imposanten zweiten Höhepunkt. Ergebnis des Bonner Experiments: Bach wäre heute immer noch ein Renner, würde letztlich wie Bach und eher nicht nach Jazz klingen. Das Publikum reagierte hingerissen.

Der Kontrast zu Thomas D und den KBCS hätte nicht größer sein können: Gerade noch füllten Streicher-Passagen das Plenum, nun fluteten hitzige Gitarrenriffs und der sonore Rap-Gesang des Fanta-Vier-Stars die Oper. „Es gibt hier keinen, der in diesen Zeiten noch vor Kraft strotzt/ Nicht meckert, nicht kotzt, nicht kleckert, nur klotzt...“, hört man in dem melancholischen Stück „Show“, das mit dem Refrain „Show, alles nur Show, wir tun alle nur so/ Lehnt euch zurück, genießt die Show“ das Publikum einstimmte. Alles nur Show? Mit teils sehr direkten und präzisen, teils bis über die Kitschgrenze hinaus schwülstigen Texten ventiliert Thomas D Sorgen und Befindlichkeiten seiner Generation – der agile Rapper ist 54. „Neophyta“ ist eine einfühlsame Liebeserklärung an die flügge gewordene Tochter, „Millionen Legionen“ ruft alle Superhelden, Highlander und Guten Geister auf, ihm in „der Nacht der Vampire in der Stadt der wilden Tiere“ beizustehen, „Vergebung hier ist sie“ prangert unseren frevelhaften Umgang mit der Schöpfung an.

Die vier Musiker von KBCS kleiden den mitunter wehmütigen, oft aufpeitschenden Rap in ein rockiges und funkiges Gewand, geben ihm mit feurigen Keyboard- und Gitarrensoli zusätzliche Power, laden die Songs auf, die viele im Opernhaus kennen (einige tanzen dazu). Die, die sie nicht kennen oder schätzen, gehen. So ist man am Ende unter sich. Und das Opernhaus tobt.

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