"Jeder schreibt, indem er lebt"

Dieter Wellershoff nimmt den Ernst-Robert-Curtius-Preis in der Bonner Universität entgegen - Laudator Ulrich Greiner würdigt die Texte als Expeditionen mit offenem Ausgang

  Dieter Wellershoff  während der Preisverleihung am Donnerstag in der Bonner Universität.

Dieter Wellershoff während der Preisverleihung am Donnerstag in der Bonner Universität.

Foto: Fischer

Bonn. Ist es wirklich so leicht, wie es auf den ersten Blick aussieht, eine Laudatio auf den Kölner Schriftsteller, Literaturwissenschaftler und Essayisten Dieter Wellershoff zu halten? Vielleicht wenn man ihn dabei als "einen der produktivsten und scharfzüngigsten Autoren" hervorhebt oder seinen Arbeiten im Sinne Lessings die Einheit von Wahrheit und perfekter Form attestiert?

Ulrich Greiner ("Die Zeit") formuliert die Antwort darauf so: "Seine Texte gleichen einer Expedition, deren Ergebnis eben nicht von vornherein feststeht." Nicht zuletzt daran mag es liegen, dass Wellershoff das hierzulande etwas stiefmütterlich behandelte Essay als literarische Gattung neben dem Roman und der Erzählung etabliert hat.

Genau für dieses Verdienst und die Maßstäbe, die er dort gesetzt habe, wurde er am Donnerstag im Festsaal der Bonner Universität mit dem von Thomas Grundmann und der Bonner Buchhandlung Bouvier gestifteten und mit 8 000 Euro dotierten Ernst-Robert-Curtius-Preis ausgezeichnet.

Den mit 4 000 Euro dotierten Förderpreis nahm der Bonner Politikwissenschaftler Thomas Speckmann entgegen, der im Haus der Geschichte arbeitet und schon zahlreiche Essays in deutschen Zeitungen veröffentlicht hat.

Vergeben wird der Preis bereits seit 20 Jahren. Zu den damit Geehrten gehören Schriftsteller wie Golo Mann (1984), Hilde Spiel (1986), Hans Magnus Enzensberger und im vergangenen Jahr Brigitte Hamann. Auch die Liste der Laudatoren ist mit bekannten Namen wie Marcel Reich-Ranicki, Frank Schirrmacher, Jürgen Rüttgers, Norbert Blüm, Hans Dietrich Genscher und Joachim Gauck bestückt und unter früheren Förderpreisträgern ist Florian Illies als Chronist der "Generation Golf".

Im Hinblick auf genau diese Generation allerdings stimmte Wellershoff in seiner Danksagung jetzt bewusst nachdenkliche Töne an. So sei es keinesfalls als "absonderlich" oder gar beunruhigend anzusehen, wenn jemand sich mit einem Buch zurückziehe, um sich ganz und gar darauf einzulassen. Zeuge dies doch vielmehr von einem guten Stück Autonomie. "Ständig mit anderen auf irgendeine Weise in Kontakt zu stehen, gilt heute als Beweis für das wahre pulsierende Leben".

Doch genau das hat Wellershoff längst auf andere Art und Weise für sich gefunden, ohne dabei aber nun einer "Weltflucht" oder einem ausgesprochenem Kulturpessimismus das Wort reden zu wollen. "Dazu habe ich heute selbst wohl auch keinen Grund", wie er scherzhaft hinzufügte.

Sein Werk umfasst zum Beispiel Essay-Bände wie "Literatur und Lustprinzip", "Das geordnete Chaos" und "Der verstörte Eros". Erste Erfolge feierte er bereits 1952 mit seiner Dissertation über Gottfried Benn am Germanistischen Seminar der Universität Bonn. Die Arbeit gilt bis heute als Standardwerk und wurde später als Monografie veröffentlicht.

Auf ein gleiches Maß an wohlwollendem Interesse und Anerkennung stieß aber auch Wellershoffs jüngster Roman "Der Liebeswunsch", der ihm 2001 den Friedrich-Hölderlin-Preis und den Joseph-Breitbach-Preis eintrug. Bereits 1988 hatte er für seine Gesamtwerk den Heinrich-Böll-Preis erhalten.

Zu Bonn hat der am 3. November 1925 in Neuss geborene Autor eine besondere Beziehung. Verbrachte er nach seiner Rückkehr aus dem Zweiten Weltkrieg und der Trümmerarbeit auf dem Bonner Venusberg dort seine Studentenjahre und beschreibt diese Zeit aus heutiger Sicht als kompletten persönlichen Neuanfang. Neben Germanistik zählten auch Psychologie und Kunstgeschichte zu seinen Fächern.

Ernst Robert Curtius selbst, der damals als Professor für Romanistik an der Rheinischen-Friedrich-Wilhelms-Universität lehrte und sich zeitlebens für deutsch-französische Verständigung einsetzte, habe er zwar bei einer kurzen Unterhaltung kennen gelernt, aber nie selbst bei ihm studiert.

Aus eigener Erfahrung gesprochen, diene die Literatur zur "Erweiterung und Vertiefung unserer Wahrnehmung des Lebens, ergänzte Wellershoff abschließend: "Jeder schreibt, indem er lebt, seine eigene Erzählung und seinen eigenen Essay!"

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