Kammerspiele Bad Godesberg Johannes Lepper inszeniert Shakespeares Hamlet

Bad Godesberg · Vier Stunden Hamlet ging am Publikum in den Kammerspielen nicht spurlos vorüber. Lepper und sein Team haben viel von der Atmosphäre aus Intrige, Verrat und Verderbtheit inhaliert, die das Stück beherrscht. Dabei haben sie Shakespeares Drama an die Gegenwart herangeführt. Die tragische Wucht des Stückes mildert die Inszenierung ab; es fegt das Publikum nicht von den Sitzen.

 Hamlet schmiegt sich an seine Mutter: Konstantin Lindhorst und Sabine Wegmann.

Hamlet schmiegt sich an seine Mutter: Konstantin Lindhorst und Sabine Wegmann.

Foto: Thilo Beu

Eine halbe Stunde vor Mitternacht hatte Hamlet endgültig ausgespielt. Nach dem Fechtduell mit Laertes schied er aus der Welt, der edle Prinz, mit den Worten: "Der Rest ist ..." Das "Schweigen" kam Konstantin Lindhorst, dem Darsteller des Hamlet, nicht mehr über die Lippen.

Das Gift, mit dem Hamlets mörderischer Onkel Claudius Laertes' Waffe präpariert hatte, wirkte offenbar schnell. Als Konstantin Lindhorst nach seinem Theatertod mit dem Shakespeare-Ensemble von Regisseur Johannes Lepper zum Schlussapplaus auf der Bühne der Kammerspiele erschien, feierten ihn die Zuschauer. Intensiv, aber nicht sehr lange. Vier Stunden Theater gehen auch am Publikum nicht spurlos vorüber.

Vier Stunden Hamlet zur Spielzeiteröffnung gab es in Bonn schon einmal. 1996 inszenierte András Fricsay Kali Son den Klassiker mit Andreas Grothgar in der Titelrolle. Ein langer, leider unergiebiger Abend.

Der Shakespeare-Übersetzer Frank Günther hat einmal erklärt, jede Epoche finde ihr eigenes Antlitz und ihre eigene Haltung in Hamlet wieder. Lepper und sein Team haben viel von der Atmosphäre aus Intrige, Verrat und Verderbtheit inhaliert, die das Stück beherrscht. Dabei haben sie Shakespeares Drama an die Gegenwart herangeführt. Die tragische Wucht des Stückes mildert die Inszenierung ab; es fegt das Publikum nicht von den Sitzen.

Lindhorsts Hamlet ist hier ein kritischer Intellektueller, der erst nachdenkt und dann handelt (oder eben nicht). Das extrem Vergrübelte, lähmend Melancholische ist ebenso wenig seine Sache wie der allzu ernsthafte Flirt mit dem Selbstmord - mag er sich auch einen Plastikbeutel über den Kopf ziehen. Der sportliche, kraftvolle, eruptive und gleichzeitig hochsensible junge Hamlet ist zu Beginn voller unbestimmter Ahnungen.

In den Kammerspielen bewegt er sich buchstäblich im Nebel. Keine Klarheit, nirgends. Sein berühmtes Zögern, wenn es gilt, den Mord an seinem Vater zu rächen, entspringt dem noblen Vorsatz, die Wahrheit zu recherchieren. Das ganze Stück über steht Lindhorsts Figur unter psychischem Hochdruck. Das bekommt zunächst der rote Teppich zu spüren. Hamlets Befindlichkeit drückt die Inszenierung auch musikalisch aus, mit Queens und David Bowies Song "Under Pressure". Die Musikbegleitung an diesem Abend ist durchweg exzellent.

Martin Kukulies' Bühne spiegelt ein gehobenes Milieu, mit Parkett, prächtigem Kronleuchter, repräsentativer Treppe und Klavier. Es ist der perfekte Ort für organisierte Lauschangriffe: eine Welt unter permanenter Beobachtung. Lindhorsts Hamlet ist ein Fremder in der höfischen Welt, wo Rollenspiel an der Tagesordnung ist und Verlässlichkeit ein Fremdwort. Wohl fühlt sich der zwischen Schein und Sein taumelnde Prinz in der Gesellschaft von Schauspielern, die den Hof von Dänemark besuchen. Als Spielleiter auf dem Regiestuhl ist Hamlet in seinem Element, da kann er gestalten.

Mit Kunst, Fiktion, einem Theaterstück will er seinen Onkel Claudius überführen. Der hatte Hamlets Vater ermordet und überdies dessen Frau Gertrud geheiratet. Hamlets Plan gelingt, aber es dauert noch eine ganze Weile bis zu jenem wunderbar gestalteten Moment, wo der ruhelose Prinz mit sich im Reinen ist und sein Schicksal annimmt - auch wenn es im eigenen Tod enden mag.

Lindhorst ist das Kraftzentrum der Aufführung. Er ist Hamlet. In seinen höchst komplexen Monologen gewährt er einen Blick in sein Innerstes, als Zuschauer weiß man, was er sagt, und wie er empfindet. Lindhorst ist umgeben von Kollegen, die vier Stunden (fast) wie im Flug vergehen lassen. Im Kleinen setzen die Schauspieler komische Tupfer, wenn sie wie Otto Schnelling als Geist mit Zigarre auftreten: eine witzige Hommage an den Hamlet-Übersetzer der Inszenierung Heiner Müller. Zusammen mit Jörg Seyer gibt Schnelling das skurrile Duo Rosencrantz und Güldenstern. Sie trinken Wittenberger und singen: "Wir war'n im Kreisverkehr!"

Bernd Braun als Claudius ist, abgesehen von seinem auch einen Mord nicht scheuenden Ehrgeiz, ein Realpolitiker, ein gar nicht einmal unsympathischer Pate und Strippenzieher. Als seine Königin Gertrud verkörpert Sabine Wegmann eine auf streng geschminkte Sinnlichkeit. Die coole Fassade bröckelt, wenn Sohn Hamlet sie mit unangenehmen Wahrheiten konfrontiert; übrigens ohne ödipale szenische Exzesse.

Anastasia Gubareva als Ophelia ist eigenwillig bis zur Renitenz, ihr trauriges Schicksal intoniert sie schon früh mit einem Chopin-Prélude am Klavier. Am Ende stirbt sie mit viel Poesie. Günter Alt stellt Polonius dar. Dessen schneller, beweglicher, eitler Geist wohnt hier in einem mächtigen Körper.

Dennis Pörtner als Laertes ist ein Mann des geschliffenen Wortes und, wie Lindhorts Hamlet, der virtuosen Fechtkunst. Hendrik Richter als Horatio repräsentiert die Treue in Person. Susanne Bredehöft wechselt in mehreren Rollen die Kostüme und Geschlechter. Uli Brüstle, zusammen mit Johannes Lepper für die Musik zuständig, ist auf der Bühne allgegenwärtig und am Klavier der Produzent minimalistischer Tragödien-Töne.Wie gesagt, dies ist ein Hamlet von heute. Mit Anspielungen an Film und Popmusik, aber ohne Effekte, welche die Würde des Stückes beschädigen könnten. Das geistreich gestaltete Programmheft gehört zu den Gewinnern des Abends. Es erzählt unter anderem die Geschichte der Aufführung als Comic.

Die nächsten Aufführungen: 30. September, 21., 25. und 27. Oktober. Karten in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen und bei bonnticket.de

Auf einen Blick
Das Stück: Es ist "das" Stück des Welttheaters: unsterblich, unendlich deutbar.

Die Inszenierung: Johannes Lepper holt die große Tragödie an die Gegenwart heran.

Die Schauspieler: Konstantin Lindhorst ist das Kraftzentrum, umgeben von starken Kollegen.

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