Vor der Bonner Premiere von Mauricio Kagels „Staatstheater“ Jürgen R. Weber inszeniert Oper ohne Orchester

Bonn · Regisseur Jürgen R. Weber über Mauricio Kagels provokative szenische Komposition „Staatstheater“. Bombendrohung vor der Uraufführung 1971 in Hamburg.

 Neue Sichtweisen: „Staatstheater“-Regisseur Jürgen R. Weber.

Neue Sichtweisen: „Staatstheater“-Regisseur Jürgen R. Weber.

Foto: Thilo Beu/THILO BEU

Die anonyme „Aktionsgemeinschaft junger Freunde deutscher Opernkunst“ zeigte sich im Jahr 1971 nicht erfreut über die in Hamburg angekündigte Uraufführung von Mauricio Kagels „Staatstheater“ und artikulierte dies wenig zimperlich in einer Bombendrohung. Von dem angekündigten Attentat sollte die eilig unter Polizeischutz gestellte Hamburgische Staatsoper zwar verschont bleiben, aber das Stück selbst sorgte dann doch für erhebliche Erschütterungen in der Opernwelt. Denn es stellte in seinem anarchischen Furor die Gattung selbst radikal in Frage. Doch wenn Intendant Rolf Liebermann später gefragt wurde, was denn das wichtigste Werk unter all den vielen Neuheiten an seinem Haus gewesen sei, fiel seine Antwort immer gleich aus: „Staatstheater“ von Mauricio Kagel.

Das Werk kommt den Corona-Schutzmaßnahmen entgegen

Dass Kagels Opus am Wochenende in Bonn die Saison eröffnen wird, hat zunächst einmal auch ganz pragmatische Gründe. Die Produktion war eigentlich bereits für die letzte Saison geplant, fiel dann aber dem der coronabedingten Schließung des Theaters zum Opfer. „Es hat sich herausgestellt, dass es eins der Werke ist, die unter Corona-Bedingungen aufführbar sind“, verrät Regisseur Jürgen R. Weber. In Corona-Zeiten wichtig: In Kagels „Staatstheater“ bleibt der Orchestergraben leer. Die Musiker agieren wie alle anderen Beteiligten auf der Bühne. Und die Chorepisoden kommen — wie bei der Uraufführung — von Band.

Die Provokation von „Staatstheater“ bestand unter anderem darin, alles zu negieren, was Oper ausmacht: Es gibt kein klassisches Libretto, keine Handlung, weder große Arien noch ein begleitendes Orchester. Doch lediglich die künstlerische Anti-Establishment-Haltung wieder aufleben zu lassen, findet Weber nicht sehr fruchtbar. Zwar stellen seine bisherigen Bonner Inszenierungen wie die von Walter Braunfels’ „Der Traum ein Leben“ oder Jonathan Doves „Marx in London“ eine gewisse Neigung zur Anarchie zur Schau. Doch im Fall Kagel will er den Spieß einfach mal umdrehen. Nicht die Oper als solche neu zu denken, ist sein Ziel, sondern Kagels Beitrag dazu.

Das funktioniert freilich nicht, ohne eine Sympathie für das Werk und seinen Schöpfer zu hegen: „Kagel macht genau das, was Kunst machen sollte“, sagt Weber. „Er geht neue Wege, entwickelt neue Sichtweisen.“ Es sei ganz erstaunlich, dass „Staatstheater“ heute trotz allem noch funktionieren könne: „Ich glaube, der Unterhaltungswert von unserer Show, wie wir Kagel interpretieren, ist höher als der einer ‚Così’ mit Übertiteln“, schätzt Weber. In „Staatstheater“ könne man mit den Strukturen etwas bauen, „das sehr filigran, sehr emotional, sehr schön ist“. Er findet den Prozess spannend, einen „ganzen Beutel von Sachen“, wie er Kagels szenisches Material nennt, zu nehmen und eine eigene Oper daraus zu machen. „Das ist ein bisschen wie ein Spiel.“

Weber: „Das war für mich eine tolle Vorlage“

Das Spielmaterial, das der Argentinier Kagel, der 2008 mit 73 Jahren in seiner Wahlheimat Köln starb, den Opernhäusern zur Verfügung stellt, besteht aus den neun Teilen „Repertoire. Szenisches Konzertstück“, „Einspielungen. Musik für Lautsprecher“, „Ensemble für 16 Stimmen“, „Debüt für 60 Stimmen“, „Saison. Sing-Spiel in 65 Bildern“, „Spielplan. Instrumentalmusik in Aktion“, „Kontra-Danse“, „Freifahrt. Gleitende Kammermusik“ und „Parkett. Konzertante Massenszenen“.

„Das war für mich eine tolle Vorlage“, schwärmt der Regisseur. Sein Konzept entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie: „Ich will das Stück wieder zurück in die szenische Narration bringen.“ Dort, wo Kagel jeden Ansatz eines Plots, einer zusammenhängenden Geschichte zertrümmert, will er die Teile wieder zusammenfügen. „All das, was Kagel nicht will, haben wir drin.“ Und ergänzt: „Wir wenden seine Methode der Dekonstruktion auf ihn selber an.“ Eine Haltung, die er durch Friedrich Nietzsches „Zarathustra“ bestätigt sieht: Der sagte über seine Jünger, die jedem seiner Worte gehorsam Folge leisteten, sie hätten ihn nicht verstanden.

Premiere am Sonntag, 13. September, 18 Uhr, im Opernhaus. Mit Yannick-Muriel Noah, Marie Heeschen, Giorgos Kanaris, Tobias Schnabel u.v.a.; Musikalische Leitung: Daniel Johannes Mayr. Karten gibt es bei Bonnticket.de; Kontaktdaten müssen unter www.anmeldung.nrw hinterlegt werden.

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