Juli Zeh: "Ständige Nähe und Distanz"

Das Bonner Theater im Hörsaal zeigt in der Universitäts-Kinderklinik wieder "Spieltrieb" nach dem Roman der Schriftstellerin

Juli Zeh: "Ständige Nähe und Distanz"
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Bonn. Juli Zehs 2004 erschienener Roman "Spieltrieb" wurde ein Bestseller. Er erzählt von Jugendlichen, die planvoll die gesellschaftlichen Spielregeln unterlaufen und als "Urenkel der Nihilisten" die konventionellen Fronten zwischen Gut und Böse mit selbstbewusstem Verstand aushebeln.

Das szenische Potenzial nutzte Bernhard Studlar für seine Bühnenfassung, die 2006 am Hamburger Deutschen Schauspielhaus uraufgeführt wurde. Das Bonner Theater im Hörsaal unter der Leitung des Regisseurs Franz-Josef Becker präsentiert seinen "Spieltrieb" jetzt wieder im Hörsaal der Bonner Universitäts-Kinderklinik. Mit der Autorin Juli Zeh sprach Elisabeth Einecke-Klövekorn.

General-Anzeiger: Sie haben vor zwei Jahren mit "Corpus Delicti" als Dramatikerin debütiert. Warum haben Sie "Spieltrieb" nicht selbst für die Bühne bearbeitet?

Juli Zeh: Bei meinen geringen Erfahrungen mit der Theaterpraxis hätte ich das überhaupt nicht gewagt. Einen eigenen erzählerisch entwickelten Stoff in ein anderes Medium zu transportieren, ist kaum zu schaffen. Meine ständige Nähe und Distanz zu den von mir erfundenen Figuren und deren Welt braucht einen anderen Blick, damit sie sich in der konkreten Bühnensituation behaupten können.

GA: Die Uraufführung wurde von der Kritik durchaus sehr unterschiedlich beurteilt. Ihr Eindruck?

Zeh: Der Versuch, einzelne Prosapassagen einzubauen und den erzählerischen Gestus beizubehalten, gefiel mir sehr gut. Die naturalistischen Sex-Szenen hatten leider eine eher abstoßende Präsenz. Es gibt ein klares narratives Gesetz: Sex und Gewalt selbst erzählen überhaupt nichts. Für die Figuren meines Romans ist Sex nur ein Mittel zum Zweck. Es geht dabei um ein mentales Übergangsstadium, weniger um konkrete Körperlichkeit.

GA: In Ihrem Roman arbeiten Sie mit einem komplexen intertextuellen Anspielungsgeflecht, raffinierten Metaphern und ironischen Perspektivwechseln. Kann das im Theater gezeigt werden?

Zeh: In guten Momenten selbstverständlich. Jede Inszenierung ist ein eigenständiges Produkt, das mit eigenen Vorstellungen getrost auch kollidieren darf. Meine Bilder sind sprachliche Erfindungen und müssen nicht eins zu eins abgebildet werden.

GA: In der "Zeit" schrieben Sie 2006 ein flammendes Plädoyer gegen den "Wirklichkeitswahn der Unterhaltungsindustrie". Ihr Roman beschreibt etliche real identifizierbare Orte in Bonn. Bei dem fiktiven Ernst-Bloch-Gymnasium sind zahlreiche Realitätspartikel Ihrer ehemaligen Schule erkennbar. Fürchten Sie, dass bei einer Aufführung in Bonn die "Authentizität'"eine Rolle spielen wird?

Zeh: Nein. Fragen nach dem "Selbst-Erlebten" meiner Geschichten werden mir überall gestellt. Obwohl "Spieltrieb" präzise zeitgeschichtliche Elemente vom Beginn des 21. Jahrhunderts enthält, könnte die Handlung auch am Anfang des 20. Jahrhunderts angesiedelt werden. Literatur besteht aus dem Zusammenspiel zwischen realen Erfahrungen und purer Fiktion. Wirklich interessant ist nur der Zwischenraum, den allein der Autor kennt und in den er die Rezipienten - egal ob im Buch oder im Theater - einlädt.

Zur PersonJuli Zeh wurde 1974 in Bonn geboren. Nach dem Abitur an der Bad Godesberger Otto-Kühne-Schule studierte sie in Passau und Leipzig Jura. Zeh debütierte 2001 mit dem Roman "Adler und Engel". Sie ist Autorin mehrerer Romane und Erzählungen. Neben etlichen Auszeichnungen erhielt sie 2005 den Literaturpreis der Bonner Lesegesellschaft. ein.GA: Wie haben Sie die Bonner Theatergruppe kennen gelernt?

Zeh: Der Regisseur sprach mich bei einer Lesung im Rheinischen Landesmuseum an. Meine ehemalige Schule unterstützte das Theaterprojekt. "Spieltrieb" habe ich mittlerweile sowohl an professionellen Bühnen wie in reinen Schultheater-Aufführungen gesehen. Die Bonner Mischung von theatererfahrenen Jugendlichen und erwachsenen Bühnenprofis finde ich sehr spannend.

Wiederaufnahme am Samstag um 20 Uhr. Kartenreservierungen sind möglich unter www.theaterimhoersaal.de.

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