Buchladen 46 Klaus Theweleit stellt seine Studie über Tötungslust vor

Bonn · Die schlimmsten Szenen habe ich nicht vorgelesen", sagt Klaus Theweleit am Ende des ersten Teils im Bonner Buchladen 46, der bis zum Bersten mit Zuhörern gefüllt ist. "Die wollte ich Ihnen nicht zumuten."

 Kulturtheoretiker Klaus Thewelei

Kulturtheoretiker Klaus Thewelei

Foto: Residenz Verlag

Das ist auch nicht nötig. Bekanntlich lassen Andeutungen, Auslassungen und Umschreibungen nicht selten einen sogar intensiveren Effekt entstehen als das nackte Grauen selbst. Alfred Hitchcock, über den Theweleit auch Lesenswertes geschrieben hat ("Deutschlandfilme", Stroemfeld Verlag, 2003), wusste dieses Phänomen in einigen seiner Filme meisterhaft einzusetzen.

Freilich geht es im aktuellen Werk des Kulturtheoretikers und Autors Theweleit ("Das Lachen der Täter: Breivik u. a. - Psychogramm der Tötungslust") nicht um Fiktion aus dem Lichtspieltheater, auch wenn er im Prolog zwei Schlüsselszenen aus Westernfilmklassikern aufgreift. Jack Palance in "Mein großer Freund Shane" (1953) und Henry Fonda in "Spiel mir das Lied vom Tod" (1968) - zwei Schurken, die im Augenblick des Mordens und unmittelbar danach hemmungslos grinsen und lachen.

Nein, es geht um das Töten in der Wirklichkeit. In seinem 1977/78 veröffentlichten, zweibändigen Werk "Männerphantasien" hatte sich Theweleit erstmals mit der Beschreibung des gewalttätigen, faschistischen Mannes und seines innerlich zerrütteten, äußerlich aber gepanzerten Körpers befasst. An diese Theorie knüpft er nun an, wenn er brutale Massenmörder der Gegenwart untersucht: Anders Breivik, der auf einer norwegischen Insel 67 Jugendliche erschießt; der "Islamische Staat", der Enthauptungen im Internet zur Schau stellt; Kindersoldaten in Ruanda, die töten und vergewaltigen; die "Charlie Hebdo"-Attentäter.

Diese Mörder sehen sich selbstredend nicht als solche - sondern als Retter der Welt, als Ärzte einer kranken Gesellschaft. Theweleit zählt eine Menge plausibler Theorien auf, welche zur Motivation der moralisch entfesselten Täter beitragen. So spricht der Autor bei seinem Besuch in Bonn etwa vom Kitzel der Grenzüberschreitung: "Er, es sind meistens Männer, scheint den Übergang vom Lebenden zum Toten zu lieben." Mehr noch sei es eine Umkehrung: Durch das Töten "verlebendigen" sich diese Mörder, sagt Theweleit.

Wenn zum Beispiel Breivik aus 20 Zentimeter Entfernung seine halbautomatische Schusswaffe auf den Kopf eines bereits getöteten Opfers richte und nochmals abdrücke, dann habe das auch mit Transformation zu tun, mit einem nach außen transportierten inneren Zustand: "Die ganze Scheiße, die in seinem Innern steckt, liegt jetzt vor ihm."

Die einzige, alles auflösende Erklärung gebe es nicht. Ihn amüsierten Schlussfolgerungen prominenter Historiker, die Massenmörder als "ganz normale Männer" beschreiben, sagt Theweleit: "Natürlich rekrutieren sich die Töter aus dem Stamm der sogenannten ganz normalen Männer. Wo sollen die auch sonst herkommen? Die SS musste schließlich auch nicht auf Aliens zurückgreifen."

Klaus Theweleit: Das Lachen der Täter: Breivik u. a.. Psychogramm der Tötungslust. Residenz, 246 S., 22,90 Euro.

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