Kölner Schauspiel Klimmzüge am Kronleuchter

KÖLM · Bei Molière ist Alceste nur leicht bewaffnet.Mit rhetorischem Florett spießt er Schmeichelei, Schönfärberei und gnädige Alltagslügen auf. Und verkennt dabei, dass derlei Talmi zugleich das Schmieröl der Zivilisation ist. In Köln freilich schwingt Alceste nach der Pause Axt und Benzinkanister - ein Amokläufer wie Jack Torrance aus Stephen Kings "Shining".

 Auf Augenhöhe: Alceste (Benjamin Höppner, links) liebt Célimène, die von Magda Lena Schlott bewegt wird.

Auf Augenhöhe: Alceste (Benjamin Höppner, links) liebt Célimène, die von Magda Lena Schlott bewegt wird.

Foto: Baltzer

Da hat das Publikum im Depot 2 des Kölner Schauspiels längst begriffen, dass "Der Menschenfeind" in Köln eher grob über die Rampe kommt. Das 17. Jahrhundert wird zwar in Perücken und Interieur skizziert. Benjamin Höppners Alceste aber schminkt sich sorgsam zum besserwisserischen Weißclown, dem nicht nur sein Freund Philinte (Philipp Plessmann), sondern die ganze großbürgerliche Gesellschaft als rotnasiger Dummer August begegnet.

Einmal im Zirkus angekommen, haut Regisseur Moritz Sostmann beinahe permanent auf die Pauke, bis die Trommelfelle dröhnen. Erster Knalleffekt ist dabei zweifellos Christian Becks Bühne: Dank grotesker Riesenmöbel schrumpfen die Menschen auf Zwergenmaß und sind zu Slapstick-Klettereien auf Sessel und Tisch sowie zum kleckernden Trinken aus Riesenhumpen verdammt. Keine schlechte Parodie auf bourgeoise Tafelkultur.

Und wenn schon ein Kronleuchter über der Szenerie hängt, darf Alceste daran Klimmzüge machen. So feiern die Väter der Klamotte chez Molière eine ausgelassene Party. Das Effekt-Catering der Regie lässt dabei kaum Amüsierwünsche offen - aber war da im Stück nicht noch ein bisschen mehr?

Etwa der differenzierte Blick in den Abgrund zwischen rigorosem Idealismus und ernüchternder Realität. Vor allem aber Alcestes Liebe zur flatterhaften Célimène, die seinen Maßstäben nicht genügt, von der er jedoch nicht lassen kann. Hier kommen, recht spät für Sostmann, die Puppen aus dem Schrank: Célimène als verhuscht-verlebter Vamp mit Blondie-Touch, die moralinsaure Arsinoe auf den Spuren von Dürrenmatts Claire Zachanassian sowie die Galane Acaste und Clitandre als dekadente Rockstars. Und hat nicht Oronte, der von Alceste verrissene Möchtegernpoet, gewisse Züge von François Hollande?

Hagen Tilps Menschenpuppen sind fantastisch, und Philipp Plessmann, Magda Lena Schlott, Johannes Benecke und Franziska Rattay küssen sie als stets sichtbare Spieler dennoch immer wieder zu frappierendem Eigenleben wach. Plötzlich begegnen sich Höppners Alceste und Célimène auf Augenhöhe, wenig später mutiert der Titelheld selbst zur Puppe.

Doch so virtuos Rollentauschtechniken durchdekliniert werden, es fehlen Momente magischer Zartheit, die etwa "Der gute Mensch von Sezuan" hatte. Intimität kippt hier gleich in Gruppensex, Molières Hintersinn wird (in der burschikosen Übersetzung von Jürgen Gosch und Wolfgang Wiens) oft niedergebrüllt, weggeschwäbelt oder eingekölscht.

Benjamin Höppner, präsent wie immer, verkörpert denn auch eher eitle Prinzipienreiterei als die Einsamkeit des Weltverächters. Die spürt man erst, wenn sich Alceste auf verwüsteter Bühne fürs Exil abschminkt und den Pappnasen den Rücken kehrt. Doch das ist dann schon das Ende eines gnadenlos unterhaltsamen Abends, an dem das tragische Unterfutter des Stücks allzu selten durchschimmert.

Im heftigen Schlussbeifall ging ein einsames Buh unter.

Die nächsten Aufführungen: 16. 12., 20 Uhr, 21. 12., 18 Uhr, 26. 12., 16 Uhr, 30. 12., 20 Uhr. Karten gibt es in den Bonnticket-Shops der GA-Zweigstellen.

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