Paul-Clemen-Museum der Universität Klirrende Kältekunst

Vom ewigen Eis könne hier nicht die Rede sein, meint der Theaterschauspieler und Fotograf Stefan Hunstein, der 2012 nach Grönland reiste und nun seine fotografischen Ergebnisse im Paul-Clemen-Museum des Kunsthistorischen Instituts der Bonner Universität zeigt.

 Momentaufnahme aus Grönland: Zu sehen im Paul-Clemen-Museum.

Momentaufnahme aus Grönland: Zu sehen im Paul-Clemen-Museum.

Foto: Stefan Hunstein

Denn was auf den monumentalen Fotos wie in Eis gemeißelt und zeitlos anmutet, sind faszinierende Momentaufnahmen. In wenigen Augenblicken kann eine dieser gefrorenen Kathedralen in sich zusammenbrechen, kann eine ganze Wand abrutschen und sich mit dem tiefschwarzen Wasser verbinden.

Andererseits: Eine lawinenartig auf den Betrachter zuzurasen scheinende weiße Masse entpuppt sich bei näherem Hinsehen als träger Eisbrei, ein Gletscher, der sich vielleicht nur wenige Meter pro Monat bewegt. Das erste Gefühl, das beim Ansehen von Hunsteins Fotografien abhanden kommt, ist das für die Zeit, das zweite ist das für Proportionen und Maßstäbe, das dritte schließlich ist das Gefühl für eine Orientierung im Raum.

Auf Hunsteins Fotos verschmelzen bisweilen Himmel und Wasser, woanders grenzen sich Felsen und treibende Eisblöcke durch wie mit dem Skalpell geschnittene Konturen ab. Was wie malerische Sahneflöckchen auf dem Wasser treibt, sind in Wahrheit kompakte Eisberge, das Blau in allen Schattierungen kann alles bedeuten: Wasser, Eis, Schnee, Himmel. Der Mensch hat in dieser so wunderschönen wie abweisenden Welt nichts zu suchen - wer in Hunsteins Fotokunst nach Indizien für eine Position zur Klimakatastrophe sucht, wird nicht fündig. Der Mensch ist allenfalls Zeuge eines urtümlichen Naturschauspiels, einer Inszenierung für Eisballett in klirrender Kälte.

"Wer die Natur wahrhaft bewundern will, der beobachte sie in ihren Extremen", schreibt Christoph Ransmayr in einem von Hunstein geschätzten Buch. Er bewundert die Natur "an den Polen in ihrer Nacktheit, die aber umso klarer und deutlicher den großartigen inneren Bau hervortreten lässt". "Ich habe Christoph Ransmayrs 'Die Schrecken des Eises und der Finsternis' und andere Reiseberichte gelesen. Und irgendwann wollte ich das dann selbst sehen", sagte Hunstein im Interview.

Mit einer Dokumentation, mit Reisefotografie habe das aber nichts zu tun: "Es sind innere Bilder, Zustandsbeschreibungen, Seelenlandschaften". Dem Betrachter ist - wie Caspar David Friedrichs "Wanderer über dem Nebelmeer" - die Rolle des atemlos staunenden Individuums vor der übermächtigen Naturkulisse zugedacht. Hunstein selbst sieht sich als Romantiker. Friedrichs Gemälde "Eismeer" erscheint als Vorläufer von Hunsteins Grönland-Fotos, deren erstaunliche Brillanz, Schärfe und Tiefe einem eigens entwickelten Verfahren zu verdanken ist: Beim UV-Direct-Print wird das Bild direkt auf das leicht angeraute Glas gedruckt. Eine perfekte Hinterglasmalerei 2.0.

Paul-Clemen-Museum des Kunsthistorischen Museums der Universität Bonn, Regina-Pacis-Weg 1; bis 22. Dezember. Mo-Do 8-20 Uhr, Fr 8-19 Uhr.

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