Konzerte in Bonn: Kleiner Chor entfacht großes Drama

Bewegende Aufführung von Mendelssohns "Elias" in der Kreuzkirche, Jazz in der Harmonie

Konzerte in Bonn: Kleiner Chor entfacht großes Drama
Foto: Horst Müller

Harmonie. Die Sängerin Anne Haigis lebte 20 Jahre in Köln, seit kurzem hat sie ihre Zelte in der Bonner Südstadt aufgeschlagen.

Den kölschen Verzäll hat sie damit allerdings nicht eingebüßt, wie man bei ihrem Auftritt in der Endenicher Harmonie feststellen konnte.

Anne Haigis' kraftvolle und etwas rauchige Stimme ist atemberaubend. Ihr Modulationsvermögen ist nahezu unbegrenzt und unvergleichlich ausdrucksvoll.

Bemerkenswert, wie sie bei den jeweiligen Songs im richtigen Moment blitzschnell das passende Register zieht, mit ihrer Stimme mächtig Druck erzeugt oder in anderen Momenten mit zartem, gebrechlichen Timbre für die rechte Atmosphäre sorgt.

Südstaaten-Melancholie, Country-Gelassenheit, Rock-Romantik oder Blues-Feeling - sämtliche Genres scheinen ihr im Blut zu liegen. Bei ihren unvergleichlichen Interpretationen beweist Anne Haigis viel Soul und bringt jeden Song stilsicher auf den Punkt.

Hervorragend begleitet von dem versierten Bluesgitarristen Jens Filser bereitete die Ausnahmesängerin (die übrigens auch die Gitarre gut beherrscht) dem begeisterten Publikum ein überzeugendes Konzert. Nachhaltiger Applaus führte zu einem großen Zugabenblock.

Wolfgang Schneider

Kreuzkirche. An der Uraufführung von Felix Mendelssohn Bartholdys Oratorium "Elias" wirkten am 22. August 1846 im englischen Birmingham nicht weniger als 400 Musiker mit, davon allein 271 Sängerinnen und Sänger.

Auch wenn der anglophile Komponist mit dieser Aufführung einen Riesenerfolg feierte, darf man doch annehmen, dass die Hörer wohl nicht jedes Detail aus der sicherlich überwältigenden Klangmasse herausfiltern konnten.

In der Bonner Kreuzkirche, wo das Oratorium jetzt das an diesem Ort begangene Konzertjahr "Das Glück der Mendelssohns" zum 200.

Geburtstag des Komponisten beschloss, war das völlig anders. Obwohl das Kölner Orchester "Concerto con Anima" auf Instrumenten der Mendelssohn-Zeit begleitete, ging es Kantorin Karin Freist-Wissing gerade nicht darum, die Üppigkeit der Uraufführung zu reproduzieren.

Sie entschied sich im Gegenteil dazu, den Klang zu verschlanken, durchsichtiger zu machen.

Mit dem relativ klein besetzten Kammerchor der Kreuzkirche, "Vox Bona", stand ihr dafür ein ideales Vokalensemble zur Verfügung, das zugleich auch dramatische Durchschlagskraft zu demonstrieren vermag.

Die "Hilf, Herr!"-Rufe nach dem Fluch des Elias und der Ouvertüre müssen nämlich bei aller Transparenz des Klangbildes vor allem eines: überwältigen.

Gerade der erste Teil des Oratoriums lebt ja über weite Strecken von der außerordentlichen Dramatik, wie Mendelssohn sie auch in der Baal-Szene mit erstaunlichem Gespür für musikalische Theatralik inszeniert. Tatsächlich erfüllten die Rufe das Kirchenschiff auf markerschütternde Weise.

Dann wieder gibt es viele Momente von berührender Zartheit wie etwa den Chor "Wohl dem, der den Herrn fürchtet", den die Vox-Bona-Sängerinnen und -Sänger mit zu Herzen gehender Innigkeit vortrugen.

Aus den Chorreihen waren auch einige kleinere Solopartien besetzt, in denen Stephanie Watin, Ulrike Steiner, Anja Barker, Damaris Unverzagt, Maria Meyer und Christoph Behrens-Watin eine gute Figur machten.

Für den guten Ruf der Kreuzkirchenkonzerte spricht, dass gleich zwei krankheitsbedingte Absagen von Solisten durch hochkarätigen Ersatz vertreten werden konnten. Für die Sopranistin Sigrun Palmadottir, kam Julia Kamenik - beide Mitglieder des Bonner Opernensembles.

Die leichte und doch sehr präsente Stimme der Sopranistin harmonierte in idealer Weise mit dem Klang des Orchesters. Und die Altistin Elisabeth Graf, die für Gerhild Romberger gekommen war, beeindruckte mit warmen, emotionsgeladenen Tönen.

Knut Schoch verlieh der Tenorpartie vor allem in den mittleren Lagen Glanz. Als Elias schließlich beeindruckte der Bassist Sebastian Noack, dessen Stimme zornige Kraft ebenso zu vermitteln weiß wie die melancholische Resignation in der Arie "Es ist genug".

Die Musiker von "Concerto con Anima" begleiteten diese Arie mit sehr schön ausbalanciertem Spiel. Karin Freist-Wissing achtete in ihrer Interpretation immer darauf, dass der Ausdruck nicht ins allzu Sentimentalische abgleitete.

Selbst das Doppelquartett "Denn er hat seinen Engeln befohlen" blieb unter ihrer Leitung sehr lyrische und absolut kitschfrei. Das Publikum in der voll besetzten Kreuzkirche war begeistert.

Bernhard Hartmann

St. Joseph. Gute Improvisatoren sind seltener als man denkt. Denn was man nur allzu oft in Konzerten zu hören bekommt, ist nicht mehr als die bloße Aneinanderreihung vorgefertigter musikalischer Bausteine.

Dazu bedarf es eines gewissen handwerklichen Geschicks, einer schnellen musikalischen Auffassungsgabe und vor allem eines: Routine.

All dies besitzt Philippe Brandeis zweifelsohne zur Genüge, doch darüber hinaus zeigte er beim zweiten Konzert des 57. Orgeltriduums in St. Joseph, dass er mehr zu produzieren vermag.

Der Titularorganist gleich zweier bekannter Kirchen - Sacré-Coeur auf dem Montmartre und Saint-Louis-des-Invalides - verarbeitete in einer originellen Improvisation das im Vorgriff auf das bald endende Kirchenjahr ausgewählte Lied "Gelobt seist du Herr Jesu Christ".

Dabei überzeugte er immer wieder mit überaschenden klanglichen und musikalischen Lösungen. Eine runde Sache.

Das ließ sich auch von den anderen Werken des Konzertes sagen, angefangen von dem stringent und unsentimental, aber ausgesprochen energiegeladen gespielten Moderato aus der siebten Symphonie von Charles-Marie Widor, über die Symphonie-Passion von Marcel Dupré, die Brandeis energisch aber

- vor allem beim unter die Haut gehenden Schluss des Kreuzigungs-Satzes - dramaturgisch sehr dicht gestaltete, bis hin zu "Mathnavi" einem Werk seiner Lehrerin Rolande Falcinelli, das Brandeis ebenfalls sehr nachdrücklich spielte. Ein spannendes Konzert!

Guido Krawinkel

Landesmuseum. Im Pianissimo beginnt das Klavier zärtlich zu träumen, mehr "atmend" als klingend gesellt sich der Ton gestrichener Saiten eines fast auf Cellogröße geschrumpften Kontrabasses hinzu, die Besen des Schlagzeugs beginnen leise zu kreisen:

Besuch aus den Niederlanden bei "Jazz am Rhein" im Rheinischen Landesmuseum.

Das Trio Michiel Braam (Klavier), Wilbert DeJoode (Bass) und Michael Vatcher (Schlagwerk) lieferte ein Set ab, das an Ausdrucksvielfalt und -dichte seinesgleichen sucht.

Seit 20 Jahren stehen diese drei Erzmusiker für den "New Dutch Swing", besser: die "aktuelle" Musik unseres Nachbarlandes, die einen ganz eigenen Stil ausgeprägt hat.

Auf eine mehr oder weniger verfremdete Melodielinie oder ein Ostinato reagieren Bass und Schlagwerk mit Improvisation, wobei an allem gestrichen oder geklopft wird, was der Instrumentenkörper hergibt. Völlig neue, autonome Klangfarbenmischungen entstehen, deren Einzelkomponenten kaum mehr zu unterscheiden sind:

Interaktionen von unerhörter Dichte. Das Klavier ist aber nicht nur Ideengeber: In den nicht notierten Teilen nutzt Braam eine Stilistik, die vom poetisch delikaten Anschlag eines aristokratischen Oscar Peterson bis zum unerbittlich gehämmerten Staccato eines völlig enthemmten Cecil Taylor reicht. Ein ganz großer Abend vor leider nur einer Handvoll von Zuhörern.

Fritz Herzog

Harmonie. 20 Jahre jazzt die Bonner "Hot Pepper Jazz Band" nun schon, Grund genug in der Endenicher Harmonie, ein zünftiges Jubiläumskonzert zu veranstalten.

Bandleader Rainer Goetzendorf (Trompete/Gesang) gründete die Formation bei einem Veteranen-Jazzfestival anlässlich der 2 000-Jahrfeier der Stadt Bonn (1989), seitdem ging es mit dem Sextett kontinuierlich aufwärts.

Markenzeichen der Band ist "Chicago Jazz aus Bonn". In der Harmonie präsentierten neben Goetzendorf Wolfgang Liebmann (Posaune), Peter Torres (Saxofone, Gesang), Volker Weiß (Banjo), Leo Roettig (Piano), Gerd Otto (Tuba) Klassiker von King Oliver, Bix Beiderbecke, Duke Ellington und auch Louis Armstrong in eigenen Arrangements.

Die Band zeigte ihr großes Können und ließ an diesem Jubiläumsabend auch einige musikalische Geburtstagsgäste mitswingen.

Walter Schnabel

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